Ausdehnung und Frühzentren der Pfalzgrafschaft

Inhalt

  1. Einleitung
  2. Einführung in den historischen Kontext
  3. Ausdehnung und Frühzentren
  4. 1. Ausdehnung unter den Staufern2. Ausdehnung unter den Wittelsbachern3. Die Pfalz nach dem Hausvertrag von Pavia

  5. Abschlusskommentar
  6. Literaturverzeichnis
  7. I. Einleitung

    Seit der ersten Erwähnung des comes palatinus de Reno im Jahre 1131 bis zum Ende der Kurpfalz 1803 verging deutlich über ein halbes Jahrhundert. In diesen rund 650 Jahren blieb die Kurpfalz natürlich nicht von den Umständen durch Wechsel der Herrschaftsfamilien – sowohl über die Kurpfalz als auch im Königs- und Kaiserhaus – sowie diversen Streitigkeiten mit den Bischöfen verschont. Diese äußerten sich von Verschiebung einzelner Machtzentren über Gewinnung und Ausbau einzelner Städte bis zur Verschiebung ganzer Territorialgrenzen. Interessant ist dabei zu beobachten, welche territorialen Schwerpunkte und welche taktischen Mittel im Machtkampf von den einzelnen Pfalzgrafen zur Expansion der Pfalzgrafschaft bei Rhein gewählt wurden. Hierbei spielen die Herrschaftsumstände, besonders die Familienzugehörigkeit der einzelnen Pfalzgrafen, aber auch die Religion und Kirche natürlich eine erhebliche Rolle, befand man sich doch langsam in einer Übergangszeit, in welcher die Religion nicht mehr allein aus Gottesfurcht betrieben, sondern schon teilweise zu politischen Zwecken missbraucht wurde. Wie diese Umstände aussahen und wie sie zur politischen und geographischen Entwicklung der Pfalzgrafschaft bei Rhein beitrugen sowie explizit welche Zentren die einzelnen Herrschaftsepochen dominierten soll hier aufgeführt und begründet werden. Dabei soll der Schwerpunkt auf der zweiten Hälfte des 12.Jahrhunderts sowie auf den ereignisreichen 13. und 14. Jahrhunderten liegen, welche sicherlich den größten Einfluss auf die Entwicklung der Pfalzgrafschaft bis hin zur Kurpfalz hatten.

    II Einführung in den historischen Kontext

    Das Amt des Pfalzgrafen war ursprünglich und bis in die Ottonenzeit ein vom König verliehenes Amt und somit auch nicht an eine Familie oder an Besitztümer in diesemTerritorium gebunden. Im Reich des Pfalzgrafen verfügten damals die Ezzonen über ein Gebiet etwa vom Niederrhein bis an die Mosel, teilweise in Lothringen also. IhrMachtzentrum befand sich in Alzey, also unabhängig von Lothringen und eher an Franken orientiert. Nach dem Aussterben der Ezzonen im Jahre 1045 fiel ein Teil desErbes an die Kölner Kirche, die sich später noch mehr des Erbes einverleiben konnte(1). Dies ist von Bedeutung für die spätere Entwicklung der Pfalzgrafschaft, da es mit der Kölner Kirche noch zu einigen Streitigkeiten kommen wird. Der Pfalzgraf hatte damals eine für einen Grafen recht hohe Stellung: Er war deutlich höher angesehen als andere Grafen und war den Herzögen beinahe gleichgestellt. Außerdem hatte er recht gute Beziehungen zum König, war er ja auch von ihm persönlich eingesetzt. Das folgende Adelsgeschlecht, das den Pfalzgrafen stellte, waren die Ballenstedter. Die Ballenstedter, die ihren Hauptsitz in Sachsen hatten, stammten eigentlich aus dem Geschlecht der Askanier und erwarben ihren Namen von ihrer Burg Ballenstedt. Des Weiteren waren sie verwandt mit Kaiser Lothar III(2). Daher verwundert es nicht, dass ein Ballenstedter das Amt des Pfalzgrafen erwarb und so tauchte unter ihrer Herrschaft im Jahre 1131 erstmals der Titel comes palatinus de Reno auf(3), welcher von Wilhelm, Pfalzgraf bei Rhein, mit Sitz in Lüttich getragen wurde. Kaiser Lothar führte dies ein, um in den Urkunden zwischen sächsischen und den rheinischen Pfalzgrafen zu unterscheiden. Da es aber schon vor Wilhelm immer wieder zu Zerwürfnissen der Ballenstedter mit dem deutschen König kam, sollte der Pfalzgrafentitel nicht mehr allzu lange in deren Familie bleiben. Als nämlich 1138 Konrad III. und damit ein Staufer deutscher König wurde, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Ballenstedter als Pfalzgrafen abgelöst wurden. So akzeptierte Konrad Wilhelm zunächst weiterhin als Pfalzgrafen bei Rhein. Nach dessen Tod allerdings sorgte Konrad dafür, dass dieses Amt von einem Vertreter seines Adelsgeschlechtes begleitet wird.(4)

    III Ausdehnung der Pfalzgrafschaft

    1. Ausdehnung unter den Staufern

    Nach dem Tode Wilhelms wollte König Konrad also einen Staufer als Pfalzgrafen und so setzte er 1140(5) Heinrich Jasomirgott ein. Dieser war zwar Babenberger, aber der Halbbruder Konrads, also „halbstaufisch“. Doch schon 1141 sollte Heinrich Bayernherzog werden, und so setzte Konrad seinen Schwager Hermann von Stahleck als Pfalzgrafen ein. Dieser verlegte das Machtzentrum auf seine Burg Stahleck in Bacharach. Weiterhin versuchte Hermann, in Richtung Mosel zu expandieren, wurde dort aber geschlagen und aus Trier vertrieben. Auch blieb Hermann – wie vielen seiner Nachfolger – ein Zusammenstoß mit dem Erzbischof von Mainz nicht erspart. Als er sich mit anderen Grafen zusammenschloss und 1154 Mainz verwüstete meldete sich König Friedrich Barbarossa, welcher zwischenzeitlich den Thron bestiegen hatte, zu Wort. Im Jahre 1156, inzwischen zum Kaiser gekrönt, bestraft er die Friedensbrecher und setzt Hermann von Stahleck als Pfalzgrafen ab(6).1156 taucht dann Friedrichs Halbbruder Konrad und somit ein „vollblütiger“ Staufer zum ersten mal als Zeuge mit dem Titel Pfalzgraf bei Rhein auf(7). Als Pfalzgraf herrschte Konrad über einen Teil des Saliererbes, Virneburg, Wild- und Raugrafschaft Katzenelnbogen und Leiningen. Sein Herrschaftszentrum verschob er zunächst vonBacharach zurück nach Alzey. Doch blieb auch Konrad nicht von Konflikten mit der Kirche verschont. So stritt er sich zunächst mit dem Erzbischof von Trier um dieZuständigkeit für die Besetzung der Pfarrkirchen. Um Schlimmeres zu vermeiden griff Friedrich Barbarossa 1161 ein:

    …Unser vorher genannter Bruder, Pfalzgraf bei Rhein, gab also gern unseremtreuen ehrenwerten Erzbischof Hillin von Trier die Investituren der zwei KirchenOberlahnstein und Kaimt als Besitztümer zurück und verzichtete darauf mit allerGesamtheit. Außerdem gab der Pfalzgraf selbst demselben Erzbischof die gewisseBurg, die Südlingen genannt wird, mit dessen Zubehör vollständig zurück und derPfalzgraf muss so dieselbe Burg von Graf Simon von Saarburg lösen und befreien,weil übrigens der Erzbischof und die Kirche von Trier in Frieden dieselbeEinrichtung mit all dessen Zubehör besitzen wird. …(8)
    Dies ist nur ein Beispiel für die lange anhaltenden Konfrontationen mit den drei Erzbischöfen. Über seine Verwandschaftsverhältnisse bekam Konrad bald darauf dasKloster Lorsch und Worms, was zum einen den über hundert Jahre langen Kampf mit Mainz um Lorsch auslöste, zum anderen bewirkte, dass der Bischof von Worms Konrad mit Heidelberg belehnte und ihm die Schirmherrschaft über das Kloster Schönau gab.

    Zu der Zeit, in der der berühmte Sachsenherzog Heinrich, der Vater Kaiser Ottos, aus der Heimat vertrieben wurde(9), wurde der Knabe Eberhard den Kindern des Pfalzgrafen gleichsam als Gefährte zugewiesen, und so zog er mit ihnen manche Male von der Burg Stahleck zur Burg Heidelberg und umgekehrt.(10)

    Daran kann man deutlich erkennen, dass es für den Pfalzgrafen Konrad zwei wichtige Städte gab, nämlich Heidelberg und Bacharach. Doch welche war wichtiger? Zu dieser Zeit wird immer häufiger das Kloster Schönau genannt(11), welches durch seine Nähe zu Heidelberg enorme Bedeutung für die Stadt und seine Bürger hatte. Wäre der Hauptsitz Bacharach gewesen, hätte sich der Pfalzgraf sicher nicht so sehr um das Kloster Schönau bemüht(12). Zum anderen wird Heidelberg als Aufbewahrungsort wichtiger Gegenstände genannt:

    … Als die Kleriker dies hörten, erklärten sie, dass der Schlüssel für den Schrein(13) sich auf der Burg Heidelberg befinde.(14) …

    Dadurch, dass der Schlüssel für einen Schrein in Bacharach in Heidelberg aufbewahrt wurde, kann man also deutlich erkennen, dass Heidelberg mittlerweile Bacharach den Rang abgelaufen haben muss und somit für den Pfalzgrafen an erster Stelle stand. Weiterhin sorgte Konrad für den Ausbau der Stadt Heidelberg und diese erlebte einen kleinen Aufschwung. Als Grablege nach seinem Tod 1195 wählte Konrad Schönau aus. Sein Nachfolger war Heinrich d.A., eigentlich ein Welfe, der aber die Tochter Konrads geheiratet hatte. Da dieser seinen Kreuzzug finanzieren musste, verzichtete er zugunsten des Erzbischofs von Trier auf die Gebiete im Moseltal(15) und sorgte damit nicht gerade für die Ausdehnung der Pfalzgrafschaft, orientierte somit allerdings – jedoch wahrscheinlich eher unbewusst – die Pfalzgrafschaft an den nördlichen Oberrhein um Heidelberg. Heinrich schien sich mehr um sein Herzogtum in Sachsen kümmern zu wollen, so übergab er schon vor seinem Tod seinem Sohn die Pfalzgrafschaft bei Rhein. Dieser allerdings starb schon 1214 vor seinem Vater und ohne einen männlichen Nachfolger. Somit sollte die staufisch-welfische Herrschaft zu ende sein.

    2. Ausdehnung unter den Wittelsbachern

    Wie bereits erwähnt war das Pfalzgrafenamt nicht an eine Familie oder Besitztümer gebunden, sondern ein vom König verliehenes Amt. So verlieh Friedrich II. das Amt 1214 an Ludwig I., beziehungsweise an ihn und seinen Sohn Otto II., der aber, weil er noch zu jung war, unter der Vormundschaft seines Vaters stand. Dennoch entglitt den Staufern die Pfalzgrafschaft nicht völlig, da ja Ludwig auf Friedrichs Seite stand, welcher ja Staufer war. Zudem war Ludwigs Sohn Otto schon 1212 mit Agnes II.verlobt, welche ebenfalls – wenn auch nur teilweise – staufische Gene trug. Allerdings war die Pfalz für Ludwig wohl eher zweitrangig. Wie Urkunden beweisen hielt er sich eher selten dort auf und traf auch seine Entscheidungen bezüglich der Pfalzgrafschaft meist in Bayern(16). Dennoch war sie nicht völlig bedeutungslos: Wenn ihr Territorium auch nicht annähernd an das Bayerns herankam, so war sie politisch doch äußerst wertvoll. So hatte der Pfalzgraf bei Rhein eine Stimme bei der Königswahl und war schließlich auch Reichsvikar und Königsrichter. Dies sind nicht zu verachtende Stellungen im Reich. Weiterhin besaß die Pfalzgrafschaft großen Reichtum und durch die guten Beamten verwaltete sie sich quasi von selbst, ohne große Schwierigkeiten zu bereiten. Man kann also sagen, dass die Pfalzgrafschaft bei Rhein für Ludwig I. eine Art „Bonus“ war. Dass die Pfalz aber in dieser Zeit kaum expandierte hatte eher andere Gründe: Ludwig war nämlich von König Friedrich zu dessen Stellvertreter im ItalienFeldzug und dessen Kreuzzug in Ägypten ernannt worden und so war er mit – zumindest für ihn – wohl wichtigeren Angelegenheiten beschäftigt(17). So versuchte er lediglich das vorhandene zu festigen, indem er das Kloster Schönau weiter an das Machtzentrum Heidelberg band(18). Erst elf Jahre nach Antritt des Pfalzgrafenamtes spielen Ludwig und sein Sohn Otto für die Zukunft der Pfalz eine bedeutende Rolle: sie werden vom Wormser Bischof mit der Wormser Kirche belehnt. Die Grafschaft Stahlbühl bestätigt dabei noch einmal Heidelberg als Zentrum:

    Heinrich, von Gottes Gnaden Bischof von Worms, wünscht seinem Herrn dem erlauchten Ludwig, Herzog von Bayern und Pfalzgraf bei Rhein Heil und seine aufrichtige Unversehrtheit. Weil der Herr euch und der Herrin Agnes, der Frau eures Sohnes, die Macht übergeben hat, durch die ihr der Wormser Kirche helfen und ihr in ihren Notlagen beistehen könnt, dass ihr sowie die Nachkommen eurer Herrin Agnes, die dem männlichen Geschlecht abstammt, in Ewigkeit zur Hilfe und zum Rat für uns sowie für diese Kirche verpflichtet seid und wir verleihen sie euch und euren genannten Nachkommen als Einkommensquelle und übergeben euch in Übereinstimmung der Gemeinschaft unserer Bürger das Schloss in Heidelberg mit der Burg desselben Schlossesund die Grafschaft Stahlbühl mit all seinem Zubehör. Damit diese unser Zugeständnis gültig und unverletzt bleibt, haben wir die vorliegende Sache durch Aufdrücken unseres Siegels bekräftigt. Dies geschah in Worms im Jahre des Herrn 1225 am 5.April, 14.Indiktion(19).
    Dies ist entscheidend, da der Streit mit der Kölner und der Mainzer Kirche, vor allem um das Kloster Lorsch, selbst nach dem Abtreten des Moseltals und dem Verzicht aufTrier durch Heinrich d. Ä. noch lange nicht beendet war. Eigentlich war Lorsch pfälzisch, doch der Erzbischof von Mainz erhob Ansprüche, nachdem ihm Papst GregorIX. 1231 die Reichsabtei Lorsch überlassen hatte(20). Dabei ging es zum einen um Überschneidungen von Hoheitsrechten, zum anderen oberflächlich um die Reform, dieBenediktiner durch die Zisterzienser zu ersetzen. In Wahrheit ging es allerdings nur um den Einflussbereich: Die Pfälzer wollten ihren Herrschaftsbereich abrunden, während es seit 1220 den Geistlichen möglich war, Reichsfürsten zu werden. Pfalzgraf Otto II., seit 1228 Nachfolger von Ludwig, hatte durch dieses Gesetz allerdings in Bayern mit den Bischöfen zu kämpfen, so dass er sich wenig um die Pfalzgrafschaft bei Rhein kümmern konnte und dies seinen schon früh eingerichteten Hofämtern überließ(21). Dennoch wurden in dieser Zeit immerhin einige Neue Städte gegründet, darunter Neustadt a.d. Haardt, welches sich bald zu einem wichtigen weiteren Zentrum entwickeln sollte. Diese neuen Städte waren meist Gegenstücke zu Städten der Erzbischöfe. So sollte sich der Streit mit den Kirchen noch lange hinziehen. Im Jahre 1255 sollte der nächste für die Pfalz bedeutende Einschnitt stattfinden. Nachdem 1253 Ludwig II. und sein Bruder Heinrich XIII. gemeinsam die Herrschaft über Bayern und die Pfalz übernahmen kam es 1255 schließlich zur Teilung Bayerns. Ludwig bekam dabei Westbayern und die Pfalzgrafschaft bei Rhein, welche ungeteilt blieb. Durch dieses Ereignis kam der Pfalzgrafschaft endlich eine größere Rolle zu, da Ludwig ja nur noch die Hälfte Bayerns innehatte, und so verweilte er auch öfter am Rhein. Wie schon sein Vorgänger fördert er das Kloster Schönau. Weiterhin sorgt er aktiv für die Erweiterung und den Erhalt der Pfalz durch Erwerb von Lehen oder sogar durch Kaufen von Land, vor allem in der Region um Alzey:

    Wenn ich aber mit den 200 Mark, für die ich meinem vorher genannten Herrn mein Eigentum in Ülversheim verkauft habe, ein anderes gleichwertiges Eigentum erworben habe, fällt das vorher genannte Eigentum an mich und meine Erben kostenfrei zurück und ich werde es in der Form des Burglehen besitzen, wie weiter oben angesprochen wurde(22).

    So wurde Alzey, welches vorher schon einmal Hauptsitz war, eine zweite feste Größe neben Heidelberg, welches aber noch immer den Hauptsitz für sich beanspruchte. Die Stadtrechte bekam Alzey allerdings erst im Jahre 1277. Auch wurde unter Ludwig II. der Streit mit den Kirchen beigelegt. Dies geschah auf Druck des Papstes undwegen der bevorstehenden Königswahl Anfang 1273. Hierbei überließ der Pfalzgraf dem Erzbischof von Mainz die Entscheidung über seine Güter(23). So bekam Ludwig im Tausch gegen Seckenheim endgültig die Vogtei Lorsch sowie bis auf Ladenburg den gesamten Lobdengau als Anhang zur Grafschaft Stahlbühl zugesprochen. Weiterhin konnte er Lehen im Odenwald um Erbach erringen. Zuletzt wird Schwetzingen, welches später ein weiteres Herrschaftszentrum werden sollte, 1288 zum erstenmal als pfalzgräflicher Besitz erwähnt. Ludwig II. starb 1294 in Heidelberg, ein weiteres Zeichen für die Bedeutung der Pfalzgrafschaft und dessen Machtzentrum. Seine Nachfolge sollte allerdings eine Krise sowohl in der Pfalzgrafschaft wie auch in Bayern auslösen. Obwohl nämlich die Nachfolge Ludwigs II. von ihm selbst klar vorgegeben war, kam es zum Streit zwischen seinen beiden Söhnen Rudolf I. und Ludwig IV. Letzterer beging dabei den Fehler, Alzey, Weinheim und Bacharach seinen potentiellen Wählern – quasi als Bestechung – als Lehen zu versetzen. Dabei ist auffällig, dass Ludwig keinen Hehl darum macht, sich seine Königswahl zu erkaufen, sondern es direkt in die Urkunden als Voraussetzung für diese Verträge schreibt(24). Demnach schien Ludwig IV. wohl deutlich weniger an der Pfalzgrafschaft bei Rhein gelegen zu haben als seinem Vater und Vorgänger Ludwig II. So litt das Territorium der Pfalzgrafschaft unter dem langjährigen Streit der beiden Brüder bis sie sich 1317 darauf einigten, dass zunächst Ludwig uneingeschränkt herrsche, bis der Krieg mit Friedrich dem Schönen um ganz Bayern beigelegt war. Allerdings verstarb Rudolf I. im Jahre 1319 und damit bevor der Krieg beendet war. Und so kam es zum erneuten Streit zwischen Ludwig und den Erben des Rudolf. Dieser Streit wurde erst zehn Jahre später im Hausvertrag von Pavia beigelegt, wobei sich Ludwig bereiterklärte, nachdem er 1322 durch seinen Sieg über Friedrich wieder ganz Bayern innehatte, die wittelsbachischen Landen neu aufzuteilen.

    3. Die Pfalz nach dem Hausvertrag von Pavia

    … Dabei sind zu ihrem Teil die Güter, die zu der Pfalz gehören und gehören sollen,Burgen, Städte, Märkte, Grafen, Freiherrn, Dienstmänner, Ritter, Knechte, Land undLeute und die Festung Kaub, Burg und Stadt, der Pfalzgrafenstein, Burg Stahlberg, BurgStahleck, Burg Brunshorn, Bacharach, Diepach, Stegen, Mannheim, Heinbach, das TalTrechtershausen, Markt Rheinbühl, Burg Fürstenberg, Burg Reichenstein, BurgStronburg, Burg und Stadt Alzey, Burg und Stadt Weinheim, Burg Wachenheim, BurgWinzingen, Burg Wolfsberg, Burg Elbstein, Burg Erbach, Burg Lindenfels, BurgRheinhausen, die obere und die untere Burg sowie die Stadt Heidelberg, Burg und StadtWiesloch, Burg Harpfenberg, Burg Obergheim, Burg Landau, die Burg und die PfalzTuron und alles was dazugehört, Burg Stainsberg, Burg Welersau, Stadt Neustadt, StadtHilersbach und Stadt Agersheim und alles, was zu den vorher genannten Burgen, Städtenund Märkten gehört angefallen.(25)…

    Im Hausvertrag von Pavia bekamen also Rudolf II, Ruprecht I. und Ruprecht II die heutige Oberpfalz und die Pfalzgrafschaft bei Rhein zugesprochen. Ludwig gab sich mit dem „Rest“ von Bayern zufrieden. Dabei kann man erstmals erkennen, welche Größe die Pfalz erreicht hatte und was sie alles beinhaltete: So wird Heidelberg mit zweiBurgen erwähnt, was bedeutet, dass die Stadt weiter ausgebaut wurde und nun das absolute Machtzentrum war. Auch wenn manche Städte und Burgen weiterhin als Lehen unter fremdem Einfluss – vor allem unter dem der Erzbischöfe – standen, waren sie doch Besitztum der Pfalzgrafen. Von nun an kann man die Pfalz also wieder als „selbständiges Herrschaftsgebiet“ betrachte. Zwar gingen die Pfalzgrafen und der bayerische Herzog von nun an grundsätzlich getrennte Wege, wandten sich aber dennoch nicht von einander ab. So verpfändete Ludwig ihnen 1330 noch weitere Zentren entlang Neckar und Rhein(26). 1338 beschlossen Rudolf II. und Ruprecht I., die Landesteilung der Pfalz untereinander. Hierbei arbeiteten sie jedoch miteinander und sie behielten beide zunächst den Titel Pfalzgraf bei Rhein(27). Auch wurden die Schwerpunkte Heidelberg, Alzey und Neustadt beibehalten. Dieses Ereignis war also für die Adelsfamilie eher von Bedeutung als für die Pfalzgrafschaft als Territorium. Weit aus wichtiger für die Pfalz ist das Schwetzinger Schloss, welches im Jahr 1350 zum ersten mal erwähnt wird(28). Von Schwetzingen wird zwar – wie bereits erwähnt – schön 1288 berichtet, doch jetzt mit dem neuen Schloss, welches damals allerdings wohl noch nicht die heutigen Ausmaße hatte, war es zu einer weiteren festen Größe neben Heidelberg geworden. Die Pfalz sollte nach der Trennung von Bayern quasi ihren zweiten Frühling erleben. Nachdem im Jahre 1353 Ruprecht I. als alleiniger Pfalzgraf festgelegt wurde, trat 1356 die Goldene Bulle in Kraft. Darin wurde das Verfahren zur Wahl des Römischen Königs festgelegt, wobei die Kurstimme von nun an unteilbar ist. Somit wurde aus dem Pfalzgrafen bei Rhein Ruprecht I. der Kurfürst von der Kurpfalz. (29)Bald darauf schaffte man es auch, Bacharach endgültig der Kölner Kirche zu entreißen, “dadurch, dass er den Ort selbst wie die zugehörigen vier Täler 1356 mit Stadtrechten begabte. Damit entstand ein leibsfreier einheitlicher Untertanenverband“(30). Weiterhin kaufte man 1359 Simmern im Hunsrück. Weiterhin konnte man die bereits erwähnten Regionen im Odenwald, welche man zunächst noch als Lehen bekommen hatte, 1390 in direkten Besitz umwandeln und auch im Elsass konnte man kleine Gebiete erlangen, was das Territorium der Pfalz abrundete. Dies spricht zum einen für den Reichtum, den die Pfalz den Pfalzgrafen – und nun den Kurfürsten – bot, aber auch für die politische Macht, welche schon zu Anfangszeiten nicht gering und nun noch größer geworden war. Dass die Stadt Heidelberg mit dem Kloster Schönau sich schon längst zum größten Machtzentrum herauskristallisiert hatte, wurde schon mehrmals aufgezeigt. Doch der absolute Höhepunkt kam Ende des 14.Jahrhunderts: Nachdem der Papst dem Kurfürsten Ruprecht I. auf dessen Bitte schon kurz vorher erlaubte, ein studium generale in Heidelberg einzuführen, gründete dieser schließlich im Jahre 1386 die Universität Heidelberg(31), an welcher 1387 zum ersten mal unterrichtet wurde. Dies brachte der Stadt enormen Zuwachs und immensen finanziellen Aufschwung. Ruprecht I. ließ sich als erster pfälzischer Herrscher nach seinem Tode in Heidelberg begraben.

    IV. Abschlusskommentar

    Welche Erkenntnis lässt sich aus dieser Arbeit gewinnen? Der Weg vom Personenverbandstaat bis hin zum Fürstenterritorium war bei der Pfalz deutlich steinigerals bei den meisten anderen. So ist die Entwicklung der Pfalzgrafschaft gekennzeichnet durch die Einwirkung verschiedener Dynastien und der Kirchen: Von den Ezzonen bis zu den Staufern herrschten die Familien fast ausschließlich über die Pfalz. Da diese also „ihr einziges Kind“ war, kümmerte man sich entsprechend darum und man schaffte es zu expandieren und der Pfalz mehr oder weniger feste Grenzen zuzuordnen. Dabei bildeten sich die Herrschaftszentren Heidelberg, Bacharach und Alzey, unter welchen anfänglich die Hauptresidenz hin- und herverschoben wurde. Unter den Wittelsbachern allerdings, welche mit Bayern ein viel größeres Territorium besaßen, stockte die Expansion zunächst ein wenig und es wurde das Vorhandene gefestigt und Städte ausgebaut. Erst nach der Teilung Bayerns 1255 sollte die Pfalz langsam wieder Aufschwungbekommen und nach zwischenzeitlichem Einbruch unter dem Streit zwischen Ludwig IV. und Rudolf I. ging es spätestens nach dem Hausvertrag von Pavia deutlich aufwärts, da nun wieder wie früher die Pfalz das einzige Verwaltungsgut der Familie war. Ebenfalls bedeutsam war der Streit mit Mainz um das Kloster Lorsch und der mit Köln wegen der Herrschaftsüberschneidungen in Bacharach. Auch wenn man sich teilweise schon vorher einigte, so wurden diese Streitigkeiten erst in dieser neuen Aufwärtsbewegung endgültig beseitigt. Abschließend kann man also sagen, dass die Pfalzgrafschaft bei Rhein zwar – auch wenn sie expandierte – kein besonders großer Herrschaftsbereich war, mit seinen Machtzentren aber von großer politischer Bedeutung und daher ständig hart umkämpft war.

    Fußzeilen

    1. Vgl. Schaab, M., Zeitstufen und Eigenart der Pfälzischen Territorialentwicklung im Mittelalter, in: Rödel, V.(Hrsg.), Der Griff nach der Krone, Regensburg 2000, S.15-16.
    2. Vgl. Lexikon des Mittelalters, Band I, München 1977, S.1110-1111.
    3. Böhmer, J.-F., Regesta Imperii IV,1 Lothar III, Wien 1994, S.168-169.
    4. Vgl. Schaab, M., Geschichte der Kurpfalz, Band 1, Stuttgart 1988, S.30-31.
    5. Ludwig Häusser berichtet von der Einsetzung im Jahre 1139 in: Geschichte der Rheinischen Pfalz, I. Band,Heidelberg 1845.
    6. Vgl. Schaab, M., Geschichte der Kurpfalz, Band 1, Stuttgart 1988, S.32-35.
    7. Siehe Schaab, M.(Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156-1505, bearb. vonLenz, R., Stuttgart 1998, S.1.
    8. Schaab, M.(Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156-1505, bearb. von Lenz,R., Stuttgart 1998, S.2.
    9. etwa 1182.
    10. Weber, S., Das Leben des Eberhard von Kumbd, Heidelberg 2004, S.33.
    11. Weber, S., Das Leben des Eberhard von Kumbd, Heidelberg 2004, S.37
    12. siehe Schaab, M.(Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156-1505, bearb. vonLenz, R., Stuttgart 1998, S.8-9.
    13. in diesem Schrein in Bacharach befanden sich heilige Reliquien, die gewaschen werden sollten.
    14. Weber, S., Das Leben des Eberhard von Kumbd, Heidelberg 2004, S.75.
    15. siehe Schaab, M.(Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156-1505, bearb. vonLenz, R., Stuttgart 1998, S.10.
    16. siehe Regesten der Pfalzgrafen am Rhein, Band I, herausgegeben von der badischen historischen Comission,Innsbruck 1894.
    17. Vgl. Rall, H. und Rall, M., Die Wittelsbacher in Lebensbildern, Regensburg 1986, S.30.
    18. siehe Schaab, M.(Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156-1505, bearb. vonLenz, R., Stuttgart 1998, S.12: Hierbei wird zum einen deutlich, welche Bedeutung das Kloster Schönau für Heidelberg gehabt haben muss,zum anderen, dass Ludwig sich auf die pfälzische Selbstverwaltung stütze und nur den Schlusssegen gab.
    19. Schaab, M.(Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156-1505, bearb. vonLenz, R., Stuttgart 1998, S.13.
    20. siehe Böhmer, J.-Fr. (Hrsg), Regesta archiepiscoporum Maguntinensium, Band 2, Innsbruck 1886, S.214.
    21. Vgl. Rall, H. und Rall, M., Die Wittelsbacher in Lebensbildern, Regensburg 1986, S.35-36.
    22. Schaab, M.(Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156-1505, bearb. vonLenz, R., Stuttgart 1998, S.33.
    23. siehe Böhmer, J.-Fr. (Hrsg), Regesta archiepiscoporum Maguntinensium, Band 2, Innsbruck 1886, S.381u.382.
    24. siehe Schaab, M.(Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156-1505, bearb. vonLenz, R., Stuttgart 1998, S.52-58.
    25. Schaab, M.(Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156-1505, bearb. vonLenz, R., Stuttgart 1998, S.69.
    26. siehe Schaab, M.(Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156-1505, bearb. vonLenz, R., Stuttgart 1998, S. 73-74.
    27. siehe Schaab, M.(Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156-1505, bearb. vonLenz, R., Stuttgart 1998, S.77.
    28. Fuchs, C.-L., Schloß Schwetzingen Staatliches Liegenschaftsamt Heidelberg (Hrsg), Schwetzingen 1994, S.3.
    29. siehe Schaab, M.(Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156-1505, bearb. vonLenz, R., Stuttgart 1998, S.98-101.
    30. Schaab, M., Zeitstufen und Eigenart der Pfälzischen Territorialentwicklung im Mittelalter, in: Rödel, V.(Hrsg),Der Griff nach der Krone, Regensburg 2000, S.24.
    31. siehe Schaab, M.(Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156-1505, bearb. vonLenz, R., Stuttgart 1998, S.122.

      V Literaturverzeichnis

      Quellen:

      • Beyer, H., Eltester, L.,Goerz, A., Urkundenbuch zur Geschichte der mittelrheinischenTerritorien, Band 2, Koblenz 1865.
      • Böhmer, J.-Fr. (Hrsg), Regesta archiepiscoporum Maguntinensium, Band 2, Innsbruck 1886.
      • Böhmer, J.-Fr., Regesta Imperii IV,1 LotharIII, Wien 1994.
      • Regsten der Pfalzgrafen am Rhein, Band I, herausgegeben von der badischen historischenComission, Innsbruck 1894.
      • Schaab, M.(Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156-1505,bearb. von Lenz, R., Stuttgart 1998.
      • Weber, S., Das Leben des Eberhard von Kumbd, Heidelberg 2004.

      Literatur:

      • Fuchs, C.-L., Schloß Schwetzingen Staatliches Liegenschaftsamt Heidelberg (Hrsg),Schwetzingen 1994.
      • Häusser, L., Geschichte der Rheinischen Pfalz, I. Band, Heidelberg 1845.
      • Lexikon des Mittelalters, Band I, München 1977.
      • Rall, H. und Rall, M., Die Wittelsbacher in Lebensbildern, Regensburg 1986.
      • Schaab, M., Geschichte der Kurpfalz, Band 1, Stuttgart 1988.
      • Schaab, M., Zeitstufen und Eigenart der Pfälzischen Territorialentwicklung im Mittelalter, in:
      • Rödel, V.(Hrsg), Der Griff nach der Krone, Regensburg 2000.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert