Ein echter Folterprozess mit Protokoll der Folterung

Was fühlt ein Mensch unter Folter?

Ihr werdet gleich ein Protokoll über eine echte Folterung lesen – und zwar eine ganz besondere. Dabei wird beschrieben, was gesagt, was getan, was geschrien wurde und wie es nach der Folterung weiterging.

Verschiedene Folterwerkzeuge aus dem Mittelalter und der Neuzeit

Die hier abgebildeten Folterwerkzeuge wurden während des Mittelalters teilweise angewandt, mehr noch während der frühen Neuzeit zur Zeit der Inquisitionsprozesse. Mit ihnen sollte das Folteropfer zu einem Geständnis gebracht werden und so ein „gerechtes“ Urteil gefällt werden.

Wir lesen viel über Hexenprozesse und Foltermethoden. Doch dabei nehmen wir einen eher oberflächlich interessierten, nüchternen Blick ein. Wir können nicht wirklich nachempfinden, wie sich die Menschen, die gefoltert wurden, gefühlt haben müssen – zum Glück haben wir keine Vorstellung davon, welche Angst und Schmerzen sie auszuhalten hatten. Aber alleine schon, wenn wir einmal bei einer solchen Folterung direkt in einer Folterkammer dabei gewesen wären, würden uns die Bilder und Schreie nicht mehr loslassen.

Triggerwarnung: Von daher empfehlen wir, das folgende Protokoll nicht zu lesen, wenn ihr empfindlich auf Grausamkeiten reagiert.



Im Folterkeller

Geschehen zu Braunschweig, den 5. November 1771 im Torturgewölbe, Nacht 10 Uhr 30. In Gegenwart des Gerichtsverwalters Papen, des Herrn Assessors Haeseler, des Herrn Gerichtsvoigt Wiese und des Unterschriebenen, Secretairs Wegener.

Nachdem das Gericht sich hieher verfügt und Inquisit (Beschuldigter) Riechers anhero gebracht war, so ist solcher sofort dem Scharfrichter Benignus Fuchs übergeben, um mit ihm nach dem Urthel zu verfahren.

Der Scharfrichter zeigte hierauf dem Inquisiten die Daumstöcke, die Schnüre, die Spanischen Stiefel, die Leiter, den gespickten Hasen, wie auch das sogenannte Meklenburgische Instrument (Spanischer Bock) vor, und erklärte ihm vor Allem umständlich den Gebrauch und die Wirkung derselben, wobei der Inquisit bloß wenige unverständliche Worte seufzte, und zwischendurch sagte:

„das weiß ich wohl, das weiß ich wohl, ich will gern Alles bekennen.“

Beginn der Folterung

Die Daumstöcke (Daumenschrauben) werden ihm angelegt. Er versichert alles zu gestehen. Die Daumstöcke werden zugeschoben. Inquisit ruft:

„O examinieren (befragen) Sie mich, ich will sie gern angeben! Herr Gott wir loben dich, Herr Gott wir preisen dich, ach Herr Jesus, sie brechen mir ja die Arme entzwei! Herr Jesus Christus Gottes Sohn, hilf mir in meinen Leiden, wenn sich die Sele soll scheiden!“

Die Daumstöcke werden fester zugeschoben. Inquisit ruf die vorigen Worte, schreiet aber dann heftig:

„Sie brechen mir ja die Arme entzwei! Herr Jesus, ja es ist wahr! Ach du allmächtiger Gott, ja, examiniren Sie mich! O Jesus! O Jesus! Herr Gerichtsverwalter ich bitte Sie Millionen tausendmal um Gotteswillen!“

Inquisit schreit hierbei so laut, dass sich seine Stimme überschlägt.

„Ich will ja sagen, zu Allem ja sagen und Alles bekennen.“

Er wiederholt nochmals obigen Ausruf.

„Brechen Sie mir doch die Arme nicht entzwei! examiniren Sie mich doch, was soll ich sagen?“

Inquisit übergibt sich vor Schmerz und ruft:

„O Jesus Christus Gottes Sohn, hilf mir in meinen Nöten, Gottes Sohn, erbarme dich doch meiner, um Jesu Willen, Amen. O Jesus, o Jesus! Ich bitte Sie viel Millionen tausendmal um Gotteswillen, ich will es ja gern sagen. Ach du allmächtiger Gott!“

Es wird an die Daumstöcke etwas geklopft. Inquisit schreit sehr und kreischt:

„O Jesus, o Jesus hilf mir! Examiniren Sie mich doch, was soll ich anfangen, ich will ja gern in Allem die Wahrheit sagen.“

Das Klopfen an die Daumstöcke wird nochmals wiederholt. Inquisit schreit fort und ruft:

„Ach du allmächtiger Gott, erbarme dich meiner!“

Die Vernehmung nach der Folterung

Nachdem nun die Schraubstöcke 10 Minuten gestanden, so wurden solche abgemacht, Inquisit losgelassen und musste derselbe, um über die an ihn zu Rathause vorhin geschehenen und jetzt zu wiederholenden Fragen vernommen zu werden, vortreten.

Frage: „ob Inquisit sich seither des Stehlens beflissen?“

Riechers: „Ja.“

Frage: „Wer seine Diebesgesellen gewesen wären?“

Riechers: „Ein Soldat Namens Blanke, welcher auf dem Thurme sitzen soll, und dann die beiden Kerle Schirmer und Schlosser.“

(Anmerkung: Riechers hatte diese Angaben bereits in einer vorherigen Aussage gemacht. Und das Gericht hatte sie überprüfen lassen, indem es den Wirt befragte, bei dem die Männer übernachteten. Der Wirt hatte es als Lüge identifiziert.)

Erneute Folterung

Inquisit wurde hierauf wieder zur Leiter geführt, gebunden und die Daumstöcke ihm angelegt, wobei er rief:

„Nein, die sind es nicht.“

Die Daumstöcke wurden wieder zugeschoben. Inquisit schreit fürchterlich:

„Es ist ein Soldat hier, der heißt Ernst.“

Es wird an die Daumstöcke geklopft. Inquisit ruft:

„Herr Jesus Christus, Gottes Sohn!“

Nach einer kleinen Pause kehrt er den Kopf nach dem Scharfrichter, und sagt solchem leise,

„ich will bekennen.“

Inquisit übergibt sich nochmals vor Schmerz, die Schnüre werden indessen angelegt. Inquisit kreischt und schreit heftig:

„Ich will die Wahrheit bekennen!“

Es sind demselben hierauf die Torturinstrumente abgenommen, derselbe losgelassen, und auf die vorhin zu Rahause ihm vorgelegten Fragen nochmals vernommen.

Erneute Vernehmung

Frage: „Wer seine Diebesgesellen gewesen wären?“

„Blanke, der auf dem Thurme sitze. Er sei mit demselben im Jahre 1764 in hiesiger Stadt bekannt geworden, und hätten sie mit einander auf der Straße davon geredet, dass sie stehlen wollten. Ferner sei es ein Soldat Namens Ernst, welcher beim Leibregiment unter der Compagnie des Hauptmanns von Dahlstiern gestanden habe; mit diesem sei er ebenfalls auf der Straße bekannt geworden, und wäre derselbe öfters in seinem Hause gewesen; auch sein Bruder Christian sei Theilnehmer.“

Frage: „Bei welchen Diebstählen ihm dieselben geholfen?“

„Bei dem Wöhlerschen und den beiden Biel’schen Diebstählen, der übrigen Einbrüche wisse er sich nicht zu besinnen, man möchte ihm solche nur nennen.“

Frage: „Ob er des Kaufmanns Biel Schwester bestohlen habe?“

„Ja.“

„Wer ihm dabei geholfen?“

„Blanke und Ernst.“

„Ob er die in dem ihm vorgehaltenen Verzeichnisse gedachten Sachen und Gelder der Zeit entwandt habe?“

„Er habe nichts weiter gesehen als 20 Thaler Gold, den Petschir-Ring und drei silberne Esslöffel, und so viel er wisse, sei nicht mehr als ein Schrank erbrochen.“

Was er davon zu seinem Antheil bekommen?

Zehn Thaler Gold, die drei Löffel und den Ring. Eine Nähelade wäre unterwegs stehen geblieben.

Ob Inquisit den Secretair Schädler bestohlen habe?

Ja.

Auf welche Art er dies angefangen?

Sie wären des Nachts von der Reichenstraße her über die Planke in den Hof gekommen, und so in das Haus, welches unverschlossen gewesen sei. Zuerst wären sie auf die Dehle gekommen und hierauf in die Stube gegangen, in welcher das Dienstmädchen gelgen, und dann in die Küche. In einer andern sei er nicht gewesen, die Übrigen aber wohl.

Wer ihm bei diesem Diebstahl geholfen?

Sein Bruder Christian und Ernst, Blanke aber nicht. Sonst wäre keiner weiter dabei gewesen, und also nicht mehr als drei. Das Mädchen möchte sich wohl versprochen oder doppelt gesehen haben, wenn es mehr angegeben habe.

Ob und wer von den Dieben ein Beil gehabt?

Er bäte um tausend Gottes Willen, denn er könne solches nicht sagen; es hätte Niemand ein Beil gehabt.

Ob und wer von den Dieben das Mädchen im Hause unter der Bedrohung, es todt zu schlagen, verhindert, dass dasselbe keinen Lärm habe machen können?

Sein Bruder Christian habe bei dem Mädchen Schildwache gehalten, er habe nicht gehört, dass selbiges mit Todtschlagen bedrohet worden.

Ob Inquisit den Herrn von Feronce bestohlen habe?

Ja.

Wie er es angefangen?

Er sei über die Planke vom Damme her gestiegen, und von da ins Fenster. (Nach einer Weile) Es sei nur Einer über die Planke gestiegen, nämlich Ernst. Wie daher die Schränke und Commoden aufgemacht wären, wisse er nicht.

Wer bei dem Diebstahl geholfen?

Er, Blanke und Ernst.

Ob er dem pp. Feronce die in der ihm vorgehaltenen Specification gedachten Sachen gestohlen?

Er habe jene Sachen nicht alle gesehen, sondern nur die, welche er bekommen.

Was er davon zu seinem Antheil bekommen?

Ein Dutzend und zehn Hemden, zwei silberne Caffeekannen und die in seinem Hause vorgefundenen Spitzen und Manschetten, auf welches Alles der den Beiden noch 50 Thlr. herausgegeben habe.

Hier soll nicht das gesamte Fragen- und Antwortprotokoll wiedergegeben werden. Aber so viel ist klar geworden: Schon durch die Androhung und die Anfänge der Folter hat das Gericht den Beschuldigten dazu gebracht, Alles zuzugeben, was ihm vorgeworfen wurde. Und selbst wenn der Gefolterte wusste, dass ihm die Todesstrafe für seine Verbrechen drohte, so ließ er diese eher über sich ergehen, als die Angst und die Qualen der Folterung.

Überraschung nach der Folterung

Riechers gestand noch alle weiteren Vergehen, nach denen er gefragt wurde: den Wöhlerschen, Bielschen, Schädlerschen, Feronceschen und Röpenakschen Einbruch. Von 14 vorgehaltenen Einbrüchen, gestand er 6 als von sich selbst begangen, den Rest als Mittäter. Außerdem widerrief er erneut die Existenz der angeblichen Mittäter Schirmer und Schlosser und nannte dafür die erwähnten Soldaten Blanke und Ernst.

Nun erforderte es die peinliche (schmerzhafte) Gerichtsordnung, dass 3 Tage nach der Folterung erneut eine Befragung ohne Schmerzen stattfinden müsse – damit die unter Folter getätigten Geständnisse freiwillig wiederholt werden sollten.

Also wurde Riechers am 8. November erneut befragt – diesmal aber im Gerichtssaal. Aber wie erstaunt muss das Gericht gewesen sein, als Riechers auf die Frage, „ob er Complicen gehabt habe?“ antwortete:

Die Angabe über Blanke und Ernst sei nur aus Not geschen und wegen der zu großen Schmerzen, die ihn übermannt hätten; beide wären ganz unschuldig. „So wahr ihn aller Welt Teufel holen solle.“. Seine Complicen wären vielmehr Schlosser und Schirmer und sein Bruder Christian; Unschuldige anzugeben, könne er nicht über das Herz bringen.

Die anderen Antworten aus dem Folterverhör widerrief er alle – bis auf die früher von ihm eingestandenen oben erwähnten Diebstähle. Der Magistrat wollte daraufhin das Folterverhör wiederholen und beantragte eine erneute Folterung von Riechers. Er wollte damit die Zweifel aus dem Weg räumen. Und auch  Artikel 57 der peinlichen Halsgerichtsordnung bestimme nicht wie oft eine Folterung wiederholt werden könne.

Das Todesurteil

Dieser Antrag wurde aber nicht genehmigt. Stattdessen sollte der Magistrat den Beschuldigten für schuldig erkennen und ihn seiner Strafe zuführen. Der Rat gab daraufhin am 25. August 1772 folgende Erkenntnis ab:

In Inquisitionssachen wider Johann Adam Riechers erkennen Bürgermeister und Rat der Stadt Braunschweig, nach abgestatteter Relation aus den verhandelten Acten, hiermit für Recht: dass Inquisit seiner vielen begangenen Diebereien wegen, als ein geflissentlicher und gefährlicher Dieb, sich selbst zur wohlverdienten Strafe und Andern zum Exempel mit dem Strange vom Leben zu bringen sei. Es sind auch nach Abzug der auf diese Inquisition verwandten Kosten, die Bestohlenen aus des Inquisiten Vermögen, so weit dasselbe reicht, pro rata zu befriedigen.

Bevor der Verurteilte sein Urteil aber hörte, sollten ihn zwei Geistliche davon überzeugen, doch noch die Namen der Mittäter Blanke und Ernst vorzutragen, so dass diese verhaftet werden können und er ein mildes Urteil bekäme. Deshalb kamen die Stadtprediger Berkhan und Jahns sechs Wochen lang täglich zu ihm in die Zelle – Berkhan vormittags, Jahns nachmittags – und versuchten, ihn zu bekehren. Aber Riechers blieb stur und ließ sich nicht von seiner Aussage abbringen.

Am 23. Oktober 1772 wurde ihm sein Urteil – Tod durch den Strang – verkündet. Er bekam dann noch acht Tage Zeit, um für das Heil seiner Seele zu sorgen und den Trost des göttlichen Wortes nicht zu verschmähen. Aber er ließ die Worte nicht an sich heran. Und so nahte der Tag, an dem er für seine Verbrechen büßen sollte.

Die Hinrichtung

Am 30. Oktober hielt der Magistrat das hochnotpeinliche Halsgericht. Riechers wurde auf den Schafott auf dem Saal des Neustädter-Rathauses geführt – in Gegenwart einer unendlichen Menge an Zuschauern. Der Inquisitionsrichter erklärte das Halsgericht für eröffnet und dem Delinquenten wurden alle seine Vergehen nochmals vorgelesen – darunter auch diejenigen, welche er abgestritten hatte.

Als dies geschehen war, schwieg Riechers noch eine Zeit lang still, stieß dann aber plötzlich, die Hände ringend, aus:

„Ach Gott, das habe ich aus Noth gesagt!“

Daraufhin wurde ihm sein Todesurteil verkündet. Danach äußerte er mit zitternder Stimme, er habe noch etwas vorzubringen:

„Er sei zum Bekennen der Taten gebracht worden, weil er krank gewesen, und man ihn ganz nackt gemacht habe.“

Aber er verscuhte vergeblich, sein Leben zu retten. Der Inquisitionsrichter zerbrach dem Brauch zufolge den Stab über dem Unglücklichen entzwei mit den Worten: „das Urthel ist gesprochen, der Stock ist zerbrochen, Du musst sterben!“ und übergab ihm sofort dem Scharfrichter.

Johann Adam Riechers wurde daraufhin, von den Geistlichen Berkhahn und Jahns begleitet, zum Richtplatz geführt und dort mit dem Strang vom Leben zum Tode gebracht.

Der Soldat Riechers war der letzte Mensch, der in Deutschland mit der Folter zu einem Geständnis gebracht wurde. Seit 1771 wurde die Folterung nicht mehr offiziell angewandt – auch wenn sie noch lange nicht verboten wurde.

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