Freien und unfreie Bauern
Um das Jahr 1100 begann eine Umwandlung in Leben und Stellung des Bauern. Die Unruhe und Leidenschaft der Kreuzzüge ergriff langsam auch ihn. Der Leibeigene hatte nur den unsicheren Besitz einer Hütte, aus der der Gutsherr ihn mit seinen Kindern jederzeit verjage konnte. Deshalb ließen sich viele Leibeigene von einem Priester das Zeichen der Kreuzzüge, das rote Kreuz auf weißem Grund, auf die Schultern heften und zogen ins Gefecht nach Jerusalem. Sie erhofften sich dadurch Freiheit für sich selbst, Befreiung von Zinsen und Lasten und den Schutz der Kirche für ihre zurück bleibenden Familien.
Dadurch hatte der Grundherr die Gefahr, seine Ackerbauern zu verlieren und, weil dann niemand mehr seine Felder bearbeitete, selbst zum Bettler zu werden. Diese Gefahr umgingen die Grundherren dadurch, auch den Besitz der Leibeigenen erblich zu machen. So hinterließen die fortgezogenen Unfreien ihr Land ihren Söhnen und Familien und der Grundherr musste keine Angst mehr haben, dass sein Land nicht beackert wurde. Außerdem gewährte man den Unfreien mehr Rechte, wodurch manche dazu bewogen wurden, zu bleiben. So wurde die Lage der Leibeigenen ab 1100 günstiger. Dazu kam noch, dass sich der Unterschied zwischen den Freien und Unfreien an den Höfen und in den Städten allmählich auflöste; dies geschah durch die neuen Genossenschaften der Bürger und der adligen Knechte, der Ministerialien. In den Städten galt für Freie und Unfreie das selbe Stadtrecht, im Palast der Fürsten drängten sich die Freien in das Hofrecht, das ursprünglich für die unfreie Umgebung der Territorialherren galt, Freie und Unfreie erhielten als Dienstleute den Ritterschild.
Der Bauer zur Hohenstaufenzeit
Seit ca. 1150 haben die Handschriften der Hohenstaufen viele wertvolle Einzelheiten aus dem Leben und dem Gemüt des Landvolkes aufgezeichnet und ermöglichen uns somit einen unschätzbaren Einblick. Erstaunlicherweise war der Bauer zu dieser Zeit in ganz anderer Weise ein Teil der Volkskraft, als Jahrhunderte später:
Behäbig und wohl steht der Bauer in seinem Hof; fröhlich und vergnügungslustig tummelt sich das junge Volk in den Dorfgassen und auf dem Anger (Dorfwiese), in ruhiger Kraft treten die Landleute als Bewahrer heimischer Sitte den neumodischen Edlen gegenüber, die sich mit vornehmer Rede und Sprache ausschmücken und so die vornehmeren Hofgebräuche den ländlichen Sitten gegenübersetzen.
Groß ist die Freude des Landvolkes am Erwachen der Natur im Frühling; ungeduldig erwarten die Mädchen das Ausbrechen der ersten Kätzchen an Weide und Hasel, sie sehen nach dem Laub, das aus der Knospe dringt und suchen auf dem Boden nach den ersten Blumen. Das früheste Spiel des Sommers ist der Ball in der Dorfstraße oder dem sprießenden Anger; er wird von Jung und Alt, von Männern und Frauen geschwungen. Wer den Federball zu werfen hat, sendet ihn mit einem Gruß an einen, den er lieb hat. Die geschickten Bewegungen, der kräftige Wurf, die kurzen Zurufe an Freunde und Gegner sind die Freude der Zuschauer und der Spielenden.
Die Frauen und Mädchen
Und kommt der sonnige Mai, dann holen die Mädchen den Festschmuck aus der Truhe und binden Kränze für ihr Haar und das ihres Freundes. So ziehen sie bekränzt und mit Bändern geschmückt, den Handspiegel als Zierrat an der Seite mit ihren Spielgefährten auf den Anger, wo hundert Mädchen und Frauen zum Reien (In einem Kreis an den Händen halten und sich drehen) versammelt sind.
Die Männer und Bauernjungen
Dorthin eilen auch die Männer in ihrer zierlichen Tracht, das Wams mit bunten Knöpfen besetzt, vielleicht sogar mit Schellen, die eine Zeit lang der teure Schmuck der vornehmen Leute waren; im Sommer trugen manche Bauern Seide, im Winter Pelzverbrämung. Die Gürtel waren mit glänzendem Metall beschlagen, ein Eisenhemd war in das Kleid gesteppt und die Spitze des Schwertes schlägt beim Gehen gegen die Ferse.
Die stolzen Knaben sind voll Freude am Kämpfen, herausfordernd und jeder auf seine Geltung achtend. Mit Leidenschaft werden die großen Reien getanzt, kühn sind die Sprünge, voll Jubel die Freude, überall die Poesie einer frohen Sinnlichkeit.
Das Fest der Bauern
Laut singt der Chor der Umstehenden den Text des Reiens, leise singt das Mädchen die Weise mit. Und noch größer wird unser Befremden, wenn wir den Rhythmus und Text dieser alten Volkstänze betrachten. Es ist eine Grazie, nicht nur in der Sprache, sondern auch in den menschlichen Verhältnissen, die viel mehr an die antike Welt erinnern als an die schlechten Empfindungen der späteren Bauern. Auf einleitende Strophen, die in zahllosen Variationen das Aufgehen des Frühjahrs rühmen, folgen andere, zum Teil in lockerem Zusammenhang improvisierte Strophen. Oft ist der Inhalt ein Streit zwischen Mutter und Tochter, die Tochter schmückt sich zum Fest und die Mutter will sie vom Tanz zurück halten. Oder ein Lob an schöne Mädchen, oft enthält der Text Angriffe auf eine Gegenpartei unter den Tänzern, die geschildert und verhöhnt werden. Denn leicht bilden sich beim Tanz Parteien, durch spitze Verse wird der Gegner herausgefordert; der Ruhm des jungen Burschen ist, sich nichts bieten zu lassen, der kräftigste Tänzer, der gewandteste Sänger oder der kühnste Schläger zu sein.
Auf den Reien folgen die Trinkgelage mit lauter und übermütiger Fröhlichkeit. Der Winter bringt neue Freuden, die Männer spielen Würfel, im Schlitten wird auf dem Eis gefahren, in einer großen Stube sammelt sich das Volk zum Tanz. Dann werden die Schemel und Tische heraus getragen, zwei Geiger machen Musik, der Vorsänger beginnt die Weise und ein Vortänzer führt an. Verschieden ist der Charakter der Reien und Tänze; die Tänze des Winters sind kunstvoller und modischer. In den Tanzliedern ist überall das höfische Gesetz der Dreiheit in den Strophen durchgeführt, man erkennt die Nachahmung des ritterlichen, romanischen Brauches. Unter den verschiedenen Arten der Tänze wird auch der slawische Reidawac genannt.
Adlige und Bauern
Bei diesen Vergnügungen des Dorfes trinkt und tanzt der Adlige mit dem Bauern, zwar schon mit dem Stolz seiner feineren Sitte; aber so sehr der Adlige auch über seine Umgebung spottet – er fürchtet gleichzeitig die Fäuste und Waffen der Bauern, so wie die Schläge ihrer Zungen. Der langlockige Bauer bietet dem Junker den Becher an und zieht ihn schnell wieder von dem Greifenden zurück, setzt ihn dann nach Hofgebrauch vor dem Trank auf das eigene Haupt und schleift auf den Zehen durch die Stube, dann freut sich der Ritter, wenn der Becher dem Dorftölpel vom Haupt fällt und ihn begießt; aber der Ritter muss auch manchmal flüchten, wenn ihn zornige Dorfknaben suchen, weil er etwa ihren Frauen und Mädchen zu große Aufmerksamkeit geschenkt hat.
So sieht das Dorfleben in den Liedern Neidhart’s von Reuental aus, des geistvollsten und launigsten aller ritterlichen Sänger im 13. Jahrhundert. Seine ganze Poesie ruht auf den Liedern und Freuden der Bauern, da der größte Teil seines Lebens unter ihnen verlief. Er fühlt sich vollkommen als fein gebildeter Mann, ist aber den Landleuten gegenüber nicht immer im Vorteil. Ein Bauernjunge, Engelmar, hat ihm das größte Leid seines Lebens bereitet, als er ihm seine Geliebte Friderun, auch ein Dorfkind, ausgespannt hat. Der Stachel des Schmerzes blieb dem Ritter Neidhart in der Seele stecken, so lange er lebte; aber auch bei späteren Huldigungen, die er Mädchen des Dorfes widmet, hat der Edelmann die Bewerbungen der jungen Bauern sehr zu fürchten und oft quält ihn bittere Eifersucht.
Schluss
Und dieses Verhältnis des Ritters Neidhart zu den Landleuten war am Anfang des 13. Jahrhunderts noch keine Ausnahme. Denn wie schnell sich auch in der Folgezeit der Stolz des Adligen gegenüber den Bauern verhärtete und zu einem abgeschotteten Stand entwickelte; noch um 1300, als die Ritterwürde sehr begehrt war und der Adlige mit hohem Stolz seinen Schild trug, heiratete der Ritter noch das Kind des reichen Bauern und gab seine Tochter dem reichen Bauer zum Weib; und der reiche Bauersohn wurde Dienstmann und Ritter mit einem Schild. Ja sogar im 16. Jahrhundert hatte sich ein solches Verhältnis noch in einzelnen Landschaften, z. B. auf der Insel Rügen, erhalten. Dort taten es nach der Reformation die wohlhabenden Bauern dem Adel gleich. Sie lebten, wie ein Edelmann jener Zeit berichtet, übermütig und streitlustig und die beklagenswerten Ehen waren nicht selten.
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