Handwerk im Mittelalter

Die Handwerker als Knechte

Die ältesten deutschen Handwerker gehörten zum Stand der Unfreien. Schon bei den alten Germanen hatten die Leibeigenen die handwerksmäßigen Verrichtungen auf den Gehöften ihrer Herren, wie das Gerben, Schmieden und Backen, ausüben müssen. Auch im Gefolge der späteren Könige und Fürsten befand sich eine Reihe von Knechten, die die Bedürfnisse ihres Herrn und seiner Dienstmannen und Ritter zu beschaffen hatten. Sie besorgten die Kleidung, die Rüstung, das Haus- und Küchengerät, fingen die Fische für den Herrn und bebauten seine Gärten und Weinberge. Dafür empfingen sie von ihm Wohnung, Kleider und Kost oder ein Stück Land zu eigener Bewirtschaftung. Dieses Verhältnis dauerte noch fort, als die Fürstensitze und Königspfalzen die Mittelpunkte städtischer Anlagen wurden; die meisten Einwohner der ältesten Städte waren hörige Bauern und Handwerker, die auf dem Grundeigentum ihrer Herren saßen. Selbst die um die Bischofssitze entstandenen Städte waren ursprünglich nichts anderes als eine Vereinigung der vom Bischof abhängigen Ackerbauern und Handwerker, die sich alle im Stand der Hörigkeit befanden.

Inhalt

Vermehrung des Handwerks mit der Entstehung der Städte

Als aber an diesen Plätzen immer mehr Fremde sich ansiedelten, fanden die Handwerker, da sie mehr fertig stellen konnten, als ihr Herr gebrauchte, bald Gelegenheit, auch für andere zu arbeiten und ihre Erzeugnisse für Geld zu verkaufen. Die Herren ließen dies zu, da ihre Hörigen dadurch zu einem gewissen Wohlstand gelangten; das frühere Verhältnis der Dienstbarkeit aber dauerte noch fort. Der Herr gab seinen Knechten, die ein Handwerk ausübten, den Stoff zu ihren Erzeugnissen, wie Felle, Holz, Eisen usw., den sie dann verarbeiteten und entweder ablieferten oder verkauften. Je mehr die Handwerk treibenden Hörigen an Zahl zunahmen, desto mehr überflüssige Arbeiten wurden hergestellt, die dann allmählich auf den mit den kirchlichen oder Hoffesten verbundenen Märkten verkauft wurden. So nahm mit der Vermehrung des Handwerks gleichzeitig Handel und Verkehr zu.

Die allmähliche Befreiung der Handwerker

Durch diese Verwertung ihrer Erzeugnisse wurden nun die Handwerker nach und nach wohlhabend und strebten immer mehr danach, von den drückenden Fronen und Lasten, unter denen sie seufzten, loszukommen. Sie wurden um so mehr dazu veranlasst, als es bereits einige unter ihnen gab, die nicht unter den Fesseln der Hörigkeit schmachteten, nämlich diejenigen, die von draußen in die Stadt herein gezogen waren und von den Stadtherren ein Stück Land als freien Besitz erworben hatten, für welches sie nur einen jährlichen Zins zahlten. Die Gelegenheit, von der Hörigkeit frei zu werden, ergab sich, als Heinrich IV. mit Papst Gregor VII. im Kampf lag. Die Städte fielen nämlich von den Bischöfen, die auf die Seite des Papstes traten, ab und nahmen Partei für den Kaiser, der besonders mit ihrer Hilfe seine Siege erfocht. Er belohnte die Städte damit, dass er sie mit Freiheiten und Rechten beschenkte und vor allen Dingen die Handwerker aus dem Stand der Hörigkeit heraushob.

Die drückendste Last dieses Verhältnisses hatte darin bestanden, dass die Handwerker, die als Hörige auf fremdem Grund und Boden saßen, kein eigenes Vermögen haben konnten, sondern, dass nach ihrem Tod ihr ganzer Nachlass an ihren Herrn fiel. Wenn dieser von seinem Recht keinen Gebrauch machen wollte, stand es ihm doch frei, von den Erben einen Teil des Nachlasses (das sog. Buteil) zu verlangen. All dieses fiel nach Verordnung des Kaisers weg, zuerst in den Städten Worms und Speyer und darauf auch in den übrigen Städten. Damit war den Handwerkern ein mächtiger Ansporn zum Schaffen und Weiterstreben gegeben: sie wussten, dass das, was sie sich erworben, ungeschmälert auf ihre Kinder und Kindeskinder übergehen würde. Aber noch ein anderes Recht wurde den Städten eingeräumt. Es wurde bestimmt, dass Hörige, die ihren Herren entliefen und in die Stadt zogen, nach einem Jahr nicht mehr zurückgefordert werden durften. Viele Leibeigene versuchten auf diese Weise ihrem elenden Leben zu entfliehen und seitdem „die Luft in der Stadt frei machte“, blühte das Handwerk mächtig auf.

Steigendes Selbstbewusstsein der Handwerker und die Zünfte

Nun begannen die Handwerker allmählich, sich ihrer Bedeutung bewusst zu werden und sie versuchten, sie durch Verbindungen unter sich noch mehr zu erweitern. Sie gründeten im 12. und 13. Jahrhundert Innungen und Zünfte. Eine Zunft vereinigte alle in der Stadt an einem und demselben Gewerbe beteiligten Handwerker zu einer fest gegliederten Verbindung. Es gab eine Zunft der Bäcker, eine Zunft der Fleischer, der Gerber, Schuster, Schneider, Hutmacher, Weber, Schmiede, Zimmerer, Zinngießer, Böttcher, Büchsenmacher, Sattler usw. Jede Zunft hatte ihr eigenes Versammlungslokal, meistens ein eigenes Haus, das mit dem Wahrzeichen des betreffenden Handwerks, einem Hammer bei den Schmieden, einer Brezel bei den Bäckern usw., geziert war. Hier versammelten sich die Zunftgenossen zu bestimmten Zeiten unter dem Vorsitz des Zunftmeisters. Vielfach wurden bei außerordentlichen Veranlassungen die Zunftgenossen am Vormittag zusammengerufen, um von dem Zunftmeister eine Mitteilung zu empfangen; eine solche Versammlung hieß Morgensprache. Die Gesetze der Zunft wurden in einer Truhe, Lade genannt, aufbewahrt und trugen als Bestätigung nicht selten die Unterschrift fürstlicher Persönlichkeiten.

Zucht und Ordnung der Zünfte und „ehrlose Berufe“

Die Zünfte achteten darauf, dass die Genossen streng über ihre Ehre wachten; ehrlose Mitglieder konnten ausgestoßen werden. Zur Ehrenhaftigkeit gehörte besonders, dass man sich fern hielt von Ausschreitungen gegen die Zunftgesetze, sowie von schlechten, mangelhaften Arbeiten und Betrügereien. Darum waren z. B. die Ältermeister der Zinngießerzunft eidlich verpflichtet, drei bis vier Mal im Jahr in alle Werkstätten und Kaufläden der Zinngießer zu gehen, das verarbeitete Zinn zu prüfen und, wenn sie fanden, dass ein Stück verwahrlost wäre, es zu zerschlagen. Außerdem überwachte die Zunft die Zahl der Gesellen und Lehrlinge, die jeder Zunftmeister halten durfte, und sah streng darauf, dass nicht Söhne vom so genannten „unehrlichen Leuten“ als Lehrlinge in das Handwerk aufgenommen wurden.*)

*) Es gab im Mittelalter eine ganze Reihe von Gewerben, die nach den damaligen Begriffen für unehrlich galten und auf denen daher ein teils gesetzlicher, teils herkömmlicher Makel haftete. Wenn auch diese Ehrlosigkeit nicht gleichbedeutend war mit vollständiger Rechtlosigkeit vor dem Gesetz, so war doch der Rechtsanspruch der „unehrlichen Leute“ nicht gleich dem der übrigen Leute. Während z. B. Spielleuten in Bezug auf Hab und Gut unparteiisch Recht zugemessen wurde, heißt es im „Sachsenspiegel“ über Beleidigungen: „Spielleuten giebt man zur Buße den Schatten eines Mannes“. Die ganze Genugtuung also, die man einem unverdient gekränkten Spielmann zugestand, war, dass man ihm den Schatten seines im Sonnenschein gegen die Wand gestellten Beleidigers preisgab, damit er das Schattenbild schlage! Als später das Wergeld und der gerichtliche Zweikampf wegfielen, traten an die Stelle der Nachteile, die in Bezug hierauf an die gewerbliche Unehrlichkeit geknüpft gewesen waren, andere lästige Folgen. Leute, die ein unehrliches Gewerbe betrieben, waren von dem geistlichen Stand ausgeschlossen; sie konnten keine öffentlichen Ämter bekleiden und alle Vereinigungen, die das Recht eigener Gesetzgebung für ihren Kreis besaßen, also namentlich die Zünfte und Innungen, weigerten sich, solche Personen in ihre Gesellschaft aufzunehmen. – Die Zahl der als unehrlich angesehenen Gewerbe wurde mit der Zeit immer größer. Während die alten Rechtsbücher nur von den Spielleuten reden, wozu dann noch der Abdecker kam, galten im 16. Jahrhundert und später als unehrlich: die Leinweber, Barbiere, Scharfrichter, Müller, Schäfer, Zöllner, Bader; ferner die Stadtknechte, Nachtwächter, Totengräber, Holz- und Feldhüter. Neben dem Nachteil, dass diese Leute von den Zünften und Ämtern ausgeschlossen waren, ergaben sich noch eine Menge anderer Nachteile: sie fanden Schwierigkeiten bei der Wahl einer Gattin, bei der Erlangung eines Kirchenplatzes, ja selbst bei dem Auffinden von bezahlten Trägern für eine Leiche. Der Scharfrichter hatte in der Kirche seinen abgesonderten Platz, war beim Abendmahl von den übrigen getrennt und wenn er starb, fand er keinen Ruheplatz auf dem gemeinsamen Friedhof. Wollte ein solcher Ausgestoßener in die Trinkstube treten, so musste er in der Tür stehen bleiben, sich zu erkennen geben und abwarten, ob jemand der Gäste gegen seinen Eintritt protestierte. Geschah das, so musste er sich ohne Murren entfernen. – Die Reichsgesetzgebung hatte wiederholt versucht, gegen diese Unbilligkeit einzugreifen und hatte alle Gewerbe für ehrlich erklärt bis auf das des Schinders oder Abdeckers. Aber erst allmählich gewöhnte man sich daran, die bis dahin als unehrlich betrachteten Gewerbe in die Reihe der ehrlichen Handwerke aufzunehmen.

Die Ausbildung der Lehrlinge war sehr sorgfältig, weil die öffentliche Prüfung vor der Innung für den Meister ein Ansporn war, seine Lehrlinge gründlich zu unterrichten, was zur selbstständigen Betreibung des Handwerks nötig war. Durch diese strenge gegenseitige Überwachung haben die Zünfte viel dazu beigetragen, Tüchtigkeit, Ehrbarkeit und gute Sitte aufrecht zu erhalten.

Wenn ein Geselle sich als Meister in der Stadt niederlassen wollte, musste er zunächst ein „Meisterstück“ anfertigen, womit er nachweisen sollte, dass er sein Handwerk verstehe. Darauf hatte er ein Jahr zu warten (zu „muten“; darum Mut- oder Probejahr) und wurde, falls er für würdig befunden wurde, gegen eine bestimmte Abgabe an die Zunftkasse feierlichst in die Innung aufgenommen.

Zusammenhalt der Zünfte

Die Zunftgenossen hielten eng zusammen; vielfach wohnten sie in einer Straße beieinander, woher noch viele Straßennamen stammen, wie Schuhmacherstraße, Müllergasse, Schmiedegang usw. In ihrem Gildehaus wurden Feiertage, Zunft- und Familienfeste gemeinsam begangen; hier kamen die ehrbaren Handwerksmeister abends zum geselligen Trunk zusammen; hier berieten sie gemeinsame Angelegenheiten. Die Zünfte halfen das Band der Zusammengehörigkeit und der Eintracht zu pflegen. Leid und Freude trugen sie gemeinsam; die Meister einer Zunft führten die Tochter des Genossen dem Meistersohne, der sie ehelichen wollte, zu; sie begleiteten voller Teilnahme den Sarg des Mitbruders zur letzten Ruhestätte. Gern verschwägerten und verschwisterten die Zunftgenossen sich untereinander. Die Innung hatte ihre eigenen Messen und Märkte; sie stiftete Kerzen und Altäre in den Kirchen; ja selbst die Stephanskirche in Wien ist zumeist aus den Stiftungen der Weberzunft hervorgegangen.

Rituale der Handwerkslehrlinge

Auch die Gesellen einer Zunft hatten ihre Vereinigungen, ihre eigenen Gesetze und Vorstände (Altgesellen). Die Aufnahme von Lehrlingen in diese war wie diejenige der Gesellen in die Meisterzunft mit besonderen, Jahrhunderte alten Formeln und Gebräuchen verbunden. Wenn ein Lehrling seine Lernzeit beendet hatte und in die Gesellenzunft aufgenommen war, trat er die Wanderschaft an, die ihn häufig durch viele fremde Städte und Länder führte, in denen er sein Handwerk immer gründlicher erlernte, so dass er dann die besten Kenntnisse in seine Vaterstadt wieder Heim tragen konnte. Damit er in der Fremde eine Heimstätte habe, schloss er sich, wenn er in eine Stadt angereist kam und Arbeit gefunden hatte, sogleich der Gesellenzunft an.

Damit aber kein Unberufener Eintritt verlangte, wurden allerlei Begrüßungsformeln erfunden, mit denen er sich einführen musste, um sich als Handwerksgenosse zu beweisen. Wenn z. B. ein Steinmetz zu einer Bauhütte kam, wo gemeißelt wurde, machte er zuerst von außen die Tür zu,um auf eine besondere Weise anklopfen zu können, trat dann ein und fragte: „Arbeiten deutsche Steinmetzen hier?“ Sofort räumten die Gesellen in der Hütte auf, schlossen die Tür und stellten sich in einem rechten Winkel auf. In einen solchen stellte auch der Wanderer seine Füße, näherte sich den Gesellen mit drei Schritten und sprach: „Gott grüße den ehrbaren Steinmetz.“ Die Antwort war: „Gott danke dem ehrbaren Steinmetz.“ Dann folgten andere, oft sich wiederholende Fragen und Antworten, unter anderem auch folgende:

„Wer hat dich ausgesandt?“
– „Mein ehrbarer Lehrmeister, ehrbare Bürger und das ganze ehrbare Handwerk zu N.“
„Worauf?“
– „Auf Zucht und Ehrbarkeit.“
„Was ist Zucht und Ehrbarkeit?“
– „Handwerksbrauch und Gewohnheit.“
„Wann fängt sie an?“
– „Sobald ich meine Lehrzeit treu und ehrlich bestanden habe.“
„Wann endigt sie?“
– „Wenn uns der Tod das Herz abbricht.“

Nach beendeter Begrüßung war er als ebenbürtiger Genosse aufgenommen und verkehrte nun mit seines Gleichen aufs Freundschaftlichste. – So waren die Zünfte geeignet, einen allgemeinen deutschen Handwerksgebrauch und deutsches Handwerksrecht auszubilden.

Aufgaben und Einfluss der Zünfte bis zu ihrer Auflösung

Die Zünfte haben aber außerdem einen bedeutenden Anteil an dem Ausbau der Städteverfassung gehabt. Am Anfang, als die Handwerker zuerst die Befreiung von dem Hofrecht erlangten und sich zu Zünften, Innungen und Gilden zusammenschlossen, wurden die Zunftmeister in den allermeisten Fällen von dem Rat der Stadt, der an die Stelle des Bischofs oder des fürstlichen Vogts getreten war, ernannt. Das war nötig gewesen, weil die Zünfte im Falle eines Krieges einen Teil der städtischen Krieger ausrüsten mussten und der Zunftmeister als ihr Hauptmann sie anzuführen hatte. Sie spielten im Bürgerheer eine große Rolle; Waffenübung und Waffenbereitschaft wurden dem Handwerker zur Pflicht gemacht und im Fall der Not durfte keiner auf dem Sammelplatz oder dem Wachtposten fehlen.

„Wie haben da die Gerber so meisterhaft gegerbt;Wie haben da die Färber so blutig rot gefärbt.“

Zu Hauptleuten ernannte der Rat nun vorzugsweise gern Mitglieder aus dem Stand der Kaufleute oder ritterlichen Grundbesitzer. Diese besaßen anfänglich zugleich die Gerichtsbarkeit in der Zunft außer dem Blutbann, d. h. sie konnten in streitigen Fällen mit Hilfe der Schöffen das Recht sprechen, nur nicht in solchen, wo das Leben verwirkt war. Aber allmählich erstritten die Zünfte sich das Recht, ihren Zunftmeister aus ihrer Mitte selbst wählen zu dürfen. Damit noch nicht zufrieden, verlangten sie auch Sitz und Stimme im Rat der Stadt zu haben, in welchem bis dahin nur so genannte ratsfähige Kaufleute, Großhändler und ritterliche Grundbesitzer gesessen hatten. So entstand der Kampf der Zünfte mit den Geschlechtern, in dem meistens die Zünfte siegten, worauf sie zu allen städtischen Ämtern zugelassen wurden.

Die Zünfte arteten später leider vielfach aus, indem man sie benutzte, um unliebsame Handwerksgenossen fern zu halten und sich den Verdienst nicht schmälern zu lassen. Dadurch wurde die freie Entwicklung des Handwerks ungemein gehemmt, und dies führte allmählich zur Aufhebung der Zünfte.

Charakteristika der wichtigsten Berufe und Gewerbe des Mittelalters

Jedes Handwerk hat sich aus kleinen Anfängen entwickelt. Die ältesten Gewerbe waren diejenigen, die für die menschliche Nahrung sorgten. Lange herrschte der Gebrauch, dass jede Familie sich ihr Brot selbst buk. Je mehr indessen die Städte aufblühten, desto mehr kam das Bäckerhandwerk empor und das Backen zu Hause nahm ab; im Jahr 1387 gab es in Frankfurt a. M. bereits 100 Bäcker. Gewicht und Preis des Brotes war ihnen vorgeschrieben; unredliche Bäcker wurden zu Gefängnis, zum Pranger oder zum Schnellgalgen verurteilt. Die Strafe beim Schnellgalgen bestand darin, dass die Schuldigen in einen über einer Pfütze hängenden Korb gesetzt wurden, aus dem sie sich nicht anders befreien konnten, als dass sie unter dem Hohngelächter der Menge in die Pfütze sprangen und nach Hause eilten.

Auch das Gewerbe der Brauer und der Fleischer kommt, da früher jede Familie, wenn irgend möglich, für den eigenen Bedarf selbst braute und schlachtete, erst im 12. Jahrhundert vor. Seitdem durfte niemand mehr Fleisch verkaufen außer die Metzger, von denen es in Frankfurt a. M. 1387 über 80 gab. An manchen Orten hielten Bäcker und Fleischer bei ihren Gildefesten jährlich feierliche Umzüge, die Bäcker mit riesigen Kringeln (Brezeln) und die Fleischer mit ungeheueren Würsten (eine wird erwähnt von 350 m Länge und 220 kg Gewicht).

Das Gewerbe der Gärtner blühte besonders in den Klöstern und an den Höfen der Bischöfe und Fürsten auf. Unter den für die Kleidung sorgenden Gewerben ragten namentlich die Tuch- und Leinweber hervor. Im Zusammenhang damit standen die Färber, deren Kunst besonders in Italien zu hoher Blüte gelangt war. Mit der Zunahme der Kleiderpracht wurde die Schneiderzunft immer wichtiger, die anfangs mit sehr unvollkommenen Gerätschaften arbeitete; erst 1360 kamen die Nähnadel mit dem Öhr und der metallene Fingerhut auf. Das Gewerbe der Schuhmacher war eines der ältesten; sie teilten sich nach der Art ihrer Erzeugnisse in verschiedene Genossen. Wer Schuharbeit von buntem Leder zierlich zu fertigen verstand, nannte sich „Corduaner“; die anderen hießen „schwarze Schuhmacher“, die wieder die „Altbüßer“ von sich ausschlossen, die als kleine Leute in besonderen Stuben bei ihrer Bastelarbeit saßen.

Unter den Gewerben, die für die Wohnungen der Menschen sorgten, standen die Steinmetzen und die Maurer an der Spitze, die als Erbauer von Kirchen und Klöstern ganz besonders in Ansehen standen. Da die Städte im Mittelalter noch meistens Holzhäuser enthielten, bildeten auch die Zimmerer ein wichtiges Gewerbe. Für die innere Ausstattung der Wohnräume sorgten die Schreiner oder Tischler, deren Erzeugnisse immer kunstvoller wurden, je mehr Verfeinerung und Luxus sich in der Zimmerausstattung geltend machte. Das Drechslerhandwerk war sehr alt. Mitglieder desselben taten sich schon unter Karl dem Große in Elfenbein-, Horn- und Holzschnitzerei hervor. Das Böttcherhandwerk nahm seinen Anfang, als zur Zeit der Karolinger hölzerne Gefäße zur Fassung und Aufbewahrung der Getränke statt der tönernen Vasen und Krüge aufkamen. Daneben aber verloren die Töpfer nicht an Bedeutung; ihre zierlichen Arbeiten schmückten die Gesimse und Wände der mittelalterlichen Wohnungen, und die Kamine der Häuser waren ihre Erzeugnisse. Ebenso kamen die Glaser zur Geltung durch die Herstellung der bunten Fenster und der Spiegel.

bild 241: deutscher schrank aus dem 16. jahrhundert

Bild 241: Deutscher Schrank aus dem 16. Jahrhundert mit kunstvollen Verzierungen.

Von den Metallarbeitern hatten die Schmiede besonders mit Waffen und Rüstungen zu tun; sie teilten sich in Nagler, Hufschmiede, Feilenhauer, Messerschmiede und Klempner. Die Schlosser entwickelten eine besondere Kunstfertigkeit in der Anfertigung von Türbeschlägen, Klopfern, Gittern und Schlössern. Zinngießer gab es seit Mitte des 13. Jahrhunderts besonders in dem an Zinnbergwerken reichen Böhmen; sie verfertigten die kunstvollsten Arbeiten in Kronleuchtern,Krügen, Tellern, Schüsseln und Zierraten. Das kunstreichste Gewerbe aber war das der Goldschmiede, welchem besonders der Aufwand in Kirchengeräten sowie die Vorliebe für goldene und silberne Schmucksachen zu statten kam.

bild 242: kunstvoller becher des königs matthias

Bild 242: Kunstvoller Becher des Königs Matthias.

Das Sebaldusgrab als hervorragendes Kunstwerk

In den meisten Arbeiten aller dieser Handwerker, besonders der Schreiner, Schlosser, Zinngießer und Goldschmiede, von denen uns nicht wenige Gegenstände erhalten sind, zeigt sich eine hohe künstlerische Vollendung, so dass unsere Zeit Manches von ihnen lernen kann und in vielen Dingen zu den Formen und Gestalten des Mittelalters zurückgekehrt ist. Der Erzgießer Peter Vischer in Nürnberg z. B. arbeitete mit seinen fünf kunstbegabten Söhnen von 1508-1519 an einem Kunstwerk, das noch erhalten ist. Es ist das so genannte Sebaldusgrab in der gleichnamigen Kirche in Nürnberg, das einen kunstvollen Tempel darstellt, der sich über dem Silbersarg des Heiligen erhebt. Das Christkind thront auf der Spitze des mittleren Turmes, die Weltkugel in der Hand; die zwölf Apostel sind ebenfalls daran angebracht und zeichnen sich durch ihre ausdrucksvollen Figuren aus. Zwischen ihnen erheben sich hohe Leuchter; aber ihre Lichter sind wiederum schlanke Säulchen, die das Gewölbe tragen helfen. Die untere Platte ruht auf kriechenden Schnecken; unzählige kleinere Figuren zieren das ganze Werk.

Andere Kunsterzeugnisse deutschen Handwerkerfleißes sind die Planetenuhren in der Marienkirche zu Lübeck und im Straßburger Münster, die durch eine wundervolle Mechanik allerlei Figuren zu bestimmten Stunden in Bewegung setzen. Auch die kostbaren bunten Glasfenster in manchen alten Gebäuden, Rathäusern und Kirchen legen Zeugnis ab von der Höhe, auf der die deutschen Handwerker im Mittelalter standen. Ihr Beispiel lehrt uns, was Fleiß und Kunstsinn vermögen und wie sie zu Wohlstand undGlück führen.

Die Baukunst

Am erhabensten jedoch offenbarte sich die Verbindung von Kunst und Handwerk in der Baukunst, die sich zunächst freilich nur in der Errichtung von Kirchen und Klöstern betätigte. Die Anfänge dieser Kunst sind überhaupt nicht bei den Freiheit liebenden Germanen zu suchen, die ihre Gottheiten im Dunkel hoher, dichtbelaubter Wälder verehrten, selbst aber größtenteils in schmucklosen Hütten wohnten. Sogar noch unter den Karolingern kann man sie kaum finden; denn die Felsburgen, die unter ihrer Herrschaft aufgeführt wurden, waren, obwohl kräftig und künstlich hergestellt, doch nicht als eigentlich Kunstwerke zu betrachten. Die Kirchen wurden bis zum Ende des zehnten Jahrhunderts noch meistenteils aus Holz, die wenigen steinernen aber von fremden Baumeistern errichtet.

bild 423: kreuzgang des doms zu zürich.

Bild 243: Kreuzgang des Doms zu Zürich. Mit Mitteln des Mittelalters geschaffen ein kaum fassbares Meisterwerk.

Den Ausgangspunkt für die mittelalterlichen Kirchenbauten bildet die altchristliche Basilika. Diese war der römischen Basilika, der Gerichts- und Kaufhalle, von der sie den Namen erhalten hat, nachgeahmt. Letztere bildete stets ein längliches Viereck, hatte an dem einen Ende einen erhöhten Platz für den Richter, eine Höhle für den Gefangenen und einen großen Raum mit Säulengängen für das Volk. Indem man nun die Vorhalle zum Portal, den Richtplatz zum Altarraum, die Höhle zum Grab für den Heiligen (der Krypta) umwandelte, die Säulengänge für das Volk beließ und in die Umfassungsmauern bogenförmige Fenster einsetzte, verwandelte man die altrömische Gerichtshalle in die christliche Kirche. Man nennt diesen Baustil, der bis zu den Hohenstaufen vorherrschend war, den romanischen Baustil. Die berühmtesten Kirchen aus dieser Periode sind St. Maria im Kapitol zu Köln (1049), die Dome in Speyer (1030), in Zürich (1050), in Mainz (1081) und in Worms (1181).

Die Entstehung und Entwicklung der Baukunst

Die Baukunst war in den ersten Jahrhunderten vorzugsweise von fremden Mönchen ausgeübt worden; von ihnen lernten dann die Deutschen und übertrafen bald ihre Lehrmeister und so ging allmählich die Baukunst in die Hände der Bürger über, als die um Kirchen und Klöster sich ansiedelnden Städte zur Selbstständigkeit erwachten, das Kunsthandwerk emporblühte und die Zünfte ihren Einfluss geltend machten. Deutscher Geist und echt deutscher, christlicher Sinn, kunstsinniges Gemüt und glühende Schwärmerei für den Glauben traten nun in den gewaltigen Bauten sichtbar in Erscheinung. Es war der gotische Baustil mit seinen kühnen Spitzbögen, der dem deutschen Christengemüt entsprang. Die Säulen streckten sich schlanker und zierlicher empor; die Knäufe daran wurden gleich Blumenkelchen aufgeschlossen und das Gewölbe kunstreich wie das Dach eines Waldes ineinander geschlungen. Die Grundform des Gotteshauses nahm die Gestalt des Kreuzes, des Zeichens der Erlösung, an.

Wie das Christentum stets nach oben weist, von dem Irdischen emporstrebt zum Himmlischen, so überwindet auch der Spitzbogen die irdische Schwere und schließt nicht wie der halbkreisförmige Rundbogen des romanischen Baustils zufrieden mit den Freuden dieser Erde zur Erde sich neigend ab. Die Säulen, deren Schaft wie aus mehreren dünneren Säulchen zusammengewachsen scheint, die Pfeiler und Türme wachsen schlank wie die Palmen zum Licht empor; die Steine sind gleichsam zu lebendigen Blättern und Blüten geworden. Die Fenster, meistens nur durch Pfeilermassen getrennt, zeigen ebenso wie die Gewölbe den zu leichter, kühner Höhe empor strebenden Spitzbogen; die Rose in Fenstern, Türen, Säulenverzierungen, das Symbol des vollen, blühenden Lebens und der Verschwiegenheit sowie, von ihr getragen oder zu ihr erblühend, das Kreuz, das Zeichen für den himmlischen Sinn, bilden die Grundformen, die in den mannigfaltigen Gestalten wiederkehren.

Der Kölner Dom und das Straßburger Münster

Die beiden größten Wunderwerke der mittelalterlichen gotischen*) Baukunst sind der Kölner Dom und das Straßburger Münster.

*) Der Name „gotisch“ weist nicht etwa auf Bauwerke der alten Goten zurück; er soll vielmehr von einem Italiener, dem Kunsthistoriker Basari (1550) erfunden und in Umlauf gebracht worden sein, indem dieser das Wort als Schimpfnamen betrachtete und dadurch seinen Abscheu vor der „barbarischen“ deutschen Bauweise ausdrücken wollte.

Der Kölner Dom, unter dem Erzbischof Konrad von Hochstaden 1248 begonnen, wurde erst 1880 beendet, nachdem die gewaltigen Steinriesen, die Türme, Jahrhunderte lang unvollendet dagestanden hatten. Er bildet ein fünfschiffiges Langhaus (119 m lang) mit Umgang und Kapellenkranz sowie ein dreischiffiges Querhaus. Das Mittelschiff ist 45 m, die beiden Türme 157 m hoch. An dem Straßburger Münster, das 1438 vollendet worden ist, wurde 161 Jahre lang gearbeitet. Der Bau wurde entworfen und begonnen von dem wackeren Erwin von Steinbach, der im Jahr 1318 starb. Der Turm – nur einer ist ausgebaut – hat eine Höhe von 140 m. Andere berühmte gotische Bauwerke sind die herrlichen Kirchen in Freiburg im Breisgau, in Ulm, Erfurt, Nürnberg, Regensburg.

bild 244: innenansicht des kölner doms

Bild 244: Eine Innenansicht des Kölner doms. Gewaltig ragt das gotische Gewölbe empor.

Schluss: Die Pracht der Gotik in den Städten

Doch nicht allein die Kirchen, sondern auch die Burgen, Paläste und vor allen Dingen die Rathäuser der Städte trugen bald das Gepräge des gotischen Baustils Davon zeugen noch heute die prächtigen Rathäuser in Lübeck, Bremen, Braunschweig, Münster und in anderen Städten. Wenn wir diese Werke anschauen, begreifen wir es kaum, wie es möglich war, sie so riesenhaft und erhaben im Ganzen und doch wieder so mannigfaltig in den einzelnen Teilen zustande zu bringen. Dies war nur dadurch erreichbar, dass die Kräfte derer, die sie schufen, zu einer großen Verbrüderung sich zusammenfanden, in welcher die tiefsten Geheimnisse der Kunst sorgsam gepflegt wurden und von Geschlecht zu Geschlecht sich forterbten. Tausend und Abertausend kunstbegabte Hände setzten ihr ganzes Leben daran, um das rohe Gestein nach dem Gedanken des Geistes zu zwingen; kein Meister wollte eigensinnig für sich etwas sein und hervorbringen, sondern er arbeitete fort im Sinne und Geist seines Vorgängers. Die Innungen und Gilden der Bauleute wirkten wie die Zünfte der übrigen Handwerker alle mit vereinten Kräften. Darum durften zur edlen Baukunst nur freie Meister und Gesellen zugelassen werden; ihre Genossen hießen die freien Maurer und ihre Kunst die Königliche. Bei jedem größeren Bauwerk war eine Bauhütte, in der die freien Maurer ihre Geheimnisse pflegten. Solcher großen Bauhütten gab es vier: in Köln, Straßburg, Zürich und Wien. Die Zunft der Maurer und Steinmetzen bewahrte erblich ihre Geheimnisse und genoss im Mittelalter große Vorrechte.

bild 240: Zünfte kunsthanwerk, das rathaus in münster

Bild 240: Zünfte ermöglichten Bauten wie das Rathaus in Münster im 16. Jahrhundert als Beispiel städtischen Kunsthandwerks.


Quelle:

  • Böe, A. Kulturbilder aus Deutschlands Vergangenheit für Schule und Haus. 2., vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig: Verlag von Gustav Gräbner, 1896.
  • 4 Kommentare:

    1. Rechte der Steinmetzen

      Es heißt nicht verehrt, sondern verwehrt. Pardon

    2. Welche Rechte hatten Handwerker?

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