Der Dominikanerorden und die Inquisitionsprozesse

Inhalt

  1. Einleitung
  2. Bettelorden, Katharer und Stadt
  3. Exkurs: Die Entstehung des Inquisitionsverfahrens und dessen Anwendung in Prozessen gegen Ketzer
  4. Von Predigern zu Inquisitoren
  5. Inquisitionstätigkeit der Dominikaner in Toulouse
  6. Fazit
  7. Bibliographie

    I. Einleitung

    Obgleich Papst Gregor IX. schon zu Beginn seines Pontifikats 1227 die Mitglieder des von Dominikus geschaffenen Predigerordens offenbar mit „Spezialaufträgen“ in Sachen Ketzerbekämpfung betraut (Segl 1998, 60) und die Brüder in Schreiben an verschiedene Bischöfe und Kleriker lobend erwähnt hat, kann die Rolle dieses Ordens in der Ketzerbekämpfung gewissermaßen bereits mit der „Ketzermission“ des (später Heiligen) Dominikus in Südfrankreich beginnen. Schließlich ist der von ihm 1215 geschaffene und 1217 durch Papst Honorius III. anerkannte „Ordo fratrum Praedicatorum“ durchaus zu diesem Zweck ins Leben gerufen worden.
    Bei den unmittelbar darauf einsetzenden Prozessen der sog. Ketzerinquisition im Rahmen der Verfolgung und Bestrafung von Häretikern nahmen Dominikaner immer wieder eine herausragende Rolle ein. Diese im Kontext der Prozesse gegen die Katharer Südfrankreichs genauer zu untersuchen, soll Ziel vorliegender Arbeit sein. Dabei wird es zum einen unumgänglich sein, kurz die Entstehung und Entwicklung des Inquisitionsprozesses als solchem zu betrachten, um dessen Anwendung bei der „inquisitio haeriticae pravitatis“ in den historischen Kontext einordnen zu können, zum anderen muss – schon angesichts des dieser Arbeit zugrunde liegenden Seminars „Bettelorden und Stadt“ – der Frage nachgegangen werden, inwiefern das Wirken der Dominikaner, eines „städtischen“ Mendikanten-Ordens, als Reaktion auf den Katharismus als „städtische“ Häresie gewertet werden kann.
    Zum Abschluss dieser Arbeit soll dann – um einen praktischen Bezug zum Thema herstellen zu können – die Arbeit der Dominikaner innerhalb „der Inquisition“ am Beispiel der südfranzösischen Stadt Toulouse illustriert werden.
    Der Verfasser hat in Anbetracht des Themas und des Umfangs dieser Ausführungen bewusst darauf verzichtet, näher auf die eigentlichen „dramatis personae“ einzugehen, da sowohl die Glaubensvorstellungen der Katharer und die darin liegende Häresie als auch die Ordensgeschichte der Dominikaner, so interessant sie auch sein mögen, in Bezug auf die zuvor genannten Fragen als wichtig erachtet aber nur peripher behandelt werden können und zudem in der Literatur hinreichend behandelt sind.(1)

    2. Bettelorden, Katharer und Stadt

    Da das diesen Ausführungen zugrunde liegende Hauptseminar „Bettelorden“ und „Stadt“ bereits im Titel trägt und diesem Thema ein ganzes Semester an Redebeiträgen und Diskussionen gewidmet hat, soll an dieser Stelle nur noch einmal in aller Kürze auf die wesentlichen Punkte der – in gewissem Sinne fast als symbiotisch zu bezeichnenden – Beziehung von Mendikanten und urbanen Zentren eingegangen werden.
    Als Konsens des o.g. Seminars konnte festgehalten werden, dass die Anwesenheit von Bettelorden in der Tat als sicherer Indikator für das Vorhandensein einer Stadt (hier als Siedlungszentrum bestimmter Größe, aber v.a. als Wirtschaftsfaktor aufzufassen) gewertet werden kann. Die Formel aber „Erst wo Bettelorden wirken, könne von Stadt die Rede sein“ darf so nicht vereinfacht werden, da die Mendikanten sich wohl bewusst in größeren Zentren ansiedelten. Zum einen liegen die ökonomischen Motive auf der Hand, da die auf Almosen angewiesenen Brüder (bzw. unter bestimmten Umständen auch Schwestern), in der Stadt in jedem Falle auf eine größere diesbezügliche Klientel hoffen konnten, als dies in ländlicheren Gegenden der Fall gewesen sein dürfte. Gleiches kann wohl für den eigentlichen Auftrag der betreffenden Orden gelten. Predigt, Für- und Seelsorge machen vor allem in Ballungszentren Sinn, wo viele Arme, Kranke und Bedürftige gedrängt leben und der Bedarf an Angeboten, wie sie seitens der Mendikanten kamen, entsprechend groß gewesen sein dürfte. Eine Verbindung „Bettelorden und Stadt“ kann also ohne weiteres konstruiert werden.
    Inwiefern diese stark städtisch geprägte Aktivität auch als Reaktion auf die sich ausbreitenden Ketzerbewegungen gewertet werden kann, ist nur schwierig zu beantworten. Im vorliegenden untersuchten Fall Dominikaner versus Katharer kann durchaus eine gewisse Konkurrenz oder vielmehr gemeinsame Ausrichtung angenommen werden, zumindest was den oben angeführten Seelsorge-Anspruch betrifft bzw. vielmehr, was die städtische Bevölkerung (v.a. bezüglich der katharischen Lehre) seitens der Häretiker erwarten konnte.(2)
    Dennoch fällt es schwer, die Frage zu beantworten, ob der Katharismus ein vorrangig städtisches Phänomen war. Wir wissen, dass es – wie das Beispiel Toulouse zeigt(3) – durchaus derartig zentrale Konzentrationen, regelrechte „katharische Städte“ gab. Allein schon aus Gründen der Propagierung und der Ausbreitung neuer Ideen wird eine solche Zentralisierung sinnvoll und von Vorteil gewesen sein.
    Wakefield (1974, 79) äußerte die, wie er selbst einräumte, kaum zu beweisende These, dass die katharische Häresie ein Klassenphänomen gewesen sei und deren Anklang in der Bevölkerung v.a. Südfrankreichs auf die beträchtlichen sozialen und ökonomischen Klassenunterschiede zurückzuführen sein könnte.
    Interessanterweise aber, und das steht dieser Vermutung entgegen, konzentrierten sich die Anhänger der Häretiker eben gerade nicht in den ärmeren Städten (ebd.) und es waren nicht die Unterschichten betroffen, sondern vor allem die besitzenden Kreise (Kolmer 1982, 24 und Ders. 1993, 84).
    Wie die Untersuchung Hansslers (1997) zeigte, scheinen die Zentren der Häresie nämlich keineswegs in den Städten gelegen haben, jedenfalls nicht mehr in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, sieht man von den Ausnahmen Avignon und Toulouse ab (Hanssler 1997, 72).(4) Die von ihm erhobenen Daten, basierend auf der Nennung der Herkunftsorte Verhörter und Denunzierter in den Inquisitionsprotokollen der Bände 25, 1 und 25, 2 der Collection Doat (Hanssler 1997, 66-69), zeigen vielmehr, dass beispielsweise aus Städten, die traditionell als Zentren der katharischen Häresie gelten(5) , für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts keine oder nur vergleichsweise wenig Nachrichten über katharische Sektenmitglieder erhalten sind (Hanssler 1997, 73).(6)
    Es scheint dem Verfasser dennoch nicht ausgeschlossen, dass sich die Dominikaner anfangs bewusst in Konkurrenz zu den Ketzern in den Städten installierten. Zum einen weist Hanssler(1997, 66-74) ausdrücklich darauf hin, dass seine Ergebnisse nur für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts gelten, also die Zeit, in der die inquisitorische Verfolgung bereits ein ernst zu nehmender Faktor war. Dies kann durchaus als wesentlicher, vielleicht gar ausschlaggebender Punkt für die Verteilung einzelner häretischer Gruppen über das Land und die Meidung städtischer Zentren sein. Eine Verfolgung und Aufspürung durch die Inquisition jedenfalls dürfte auf diese Weise erschwert worden sein. Wenn wir also annehmen, dass, aufgrund der eingangs genannten Punkte, in der Frühzeit des Katharismus ein anderes, deutlich urbaner geprägtes Bild vorgeherrscht hat(7), könnte dies in der Tat vereinbar sein mit der ursprünglichen Mission des Dominikus und des von ihm ins Leben gerufenen Ordens, gegen Häresie und Häretiker zu predigen – auch und v.a. in Städten.

    3. Exkurs: Die Entstehung des Inquisitionsverfahrens und dessen Anwendung in Prozessen gegen Ketzer

    Wie Segl (1993, 2f.) treffend feststellt, kann die mittelalterliche „Inquisition“ mitnichten als ein von Rom aus organisiertes Amt, ein Behördenapparat zur Verfolgung Anders- bzw. Nichtgläubiger betrachtet werden.(8)
    Genau betrachtet, wäre es also eigentlich falsch, von „der“ Inquisition zu sprechen, weist doch auch das Lexikon des Mittelalters ausdrücklich allein auf die Existenz des Inquisitionsverfahrens hin (LexMA 5 (1991), Sp. 441 f.).
    Ungeachtet solcher sprachlicher Feinheiten soll hier, aus Gründen der Vereinfachung, der – zugegeben etwas unscharfe – Begriff der Inquisition jedoch synonym für alle an der Verfolgung, Verurteilung und Bestrafung vor einem entsprechenden Tribunal Angeklagter, Institutionen und Personen von kirchlicher Seite verwandt werden.
    Der Begriff „Inquisition“ leitet sich etymologisch vom lateinischen Verb „inquirere“, also „auf-“ bzw. „nachspüren“ ab, tritt im antiken römischen Recht jedoch noch nicht im Kontext von Strafprozessen auf.
    Vielmehr handelt es sich in juristischer Hinsicht um eine sich erst im 13. Jahrhundert durchsetzende Neuerung in der Strafverfolgung, die darin bestand, dass Straftatbestände nicht länger nur ausschließlich aufgrund der Anzeige bzw. Klage von Geschädigten, sondern von Amts wegen verfolgt wurden.(9)
    Entgegen der weit verbreiteten Auffassung wurde dieses neue Verfahren „per inquisitionem“ ursprünglich nicht explizit für die Ketzerverfolgung eingeführt, sondern um unwürdige Geistliche leichter aus dem Amt entfernen zu können (Segl 1998, 56 und Kolmer 1993, 87). Dieses Verfahren sollte ausdrücklich einzig gegen Kleriker, nicht aber gegen Laien oder gar in der Ketzerbekämpfung eingesetzt werden, wie auf dem Laterankonzil von 1215 festgelegt wurde. Letztere lag im Gegenteil nach wie vor in den Händen der Bischöfe, die mit Hilfe von Synodalzeugen Anzeigen gegen Häretiker nachzugehen hatten. Ein – zumindest indirekter – Zusammenhang mit der Problematik um sich greifender Häresien besteht hier interessanterweise dennoch: Der Zulauf, den die Ketzer vor allem in Südfrankreich und Italien verzeichnen konnten, ist zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auch auf das Gebaren des dortigen Klerus zurückzuführen, der einem mit diesem Stand kaum zu vereinbarenden Lebenswandel frönte, sich Konkubinen hielt und z.T. wie weltlicher Adel herrschte. Damit wurde es den sog. Ketzern leicht gemacht, die Verderbtheit des Klerus anzuprangern und sich selbst als in der wahren Nachfolge der Apostel lebend darzustellen.
    Einmal in den kanonischen Strafprozess eingeführt, fand das „Inquisitionsverfahren“ bald auch Anwendung im weltlichen Bereich, in den es vergleichsweise schnell aufgenommen wurde (Segl 1993, 17f.)
    Der auf diese Weise entstandene Inquisitionsprozess führte, das sei hier zusammenfassend festgehalten, zwei Maximen zusammen, die als prägend, ja grundlegend für diese Form der Untersuchung und Verhandlung von Straftatbeständen werden sollten: zum einen die sog. Offizialmaxime, also der Verpflichtung entsprechender Stellen, einen Prozess nicht erst auf Klage eines Geschädigten, sondern von Amts wegen anzustrengen und durchzuführen und zum anderen die Instruktionsmaxime, derzufolge die betreffende Obrigkeit verpflichtet war, sich selbst im Zuge von Ermittlungen über den jeweiligen Fall betreffende Tatsachen und -hergänge zu informieren.
    Die Nachfolger Papst Innozenz III. entwickelten dieses Verfahren dann im 13. Jahrhundert – entgegen der ursprünglichen Absicht seines Schöpfers! – zum speziellen und spezialisierten Ketzerprozess weiter. Es entstand auf diese Weise ein nur wenig normierter Ketzerprozess, der in seiner Gesamtheit niemals vollständig im kanonischen Recht verankert wurde (Segl 1993, 19 und Trusen 1993).
    Unter Innozenz III. hatte die eigentliche Untersuchung bzw. Befragung in Gegenwart des Beschuldigten stattzufinden, die Namen belastender Zeugen und deren Aussagen waren ihm nicht nur zuvor bekannt zu geben, er hatte auch das Recht, Protest gegen einzelne Zeugen vorzubringen und sich in einer Gegenrede zu den Anschuldigungen zu äußern. Erst nach Prüfung und Abwägung von Rede und Gegenrede sollten die eingesetzten Richter ein Urteil fällen. Es soll hier betont werden, dass derartige Möglichkeiten der (Selbst-) Verteidigung Angeklagter in der in den 1230er Jahren eingeführten „Ketzerinquisition“ selbstverständlich nicht ad hoc, sondern sukzessive im Zusammenspiel der bereits genannten bischöflichen Sendgerichtesamt Synodalzeugen, der päpstlichen Legaten und nicht zuletzt durch die weltlichen Herrscher in den Prozess aufgenommen bzw. modifiziert wurden.(10)
    Als Klimax in dieser Entwicklung – unter Berücksichtigung des dieser Arbeit zugrunde gelegten Fokus auf die Prozesse gegen Katharer – können zweifelsohne die nach dem sog. Albigenserkreuzzug 1229 eingerichteten „Sondergerichtshöfe“ (Segl 1998, 58) gelten, in denen mit spezieller Gerichtskompetenz ausgestattete „Ketzerverfolgungsspezialisten“ (ebd.) sich ausschließlich mit der Untersuchung häretischer Vergehen befassten.(11)
    Während des Pontifikats Gregors IX. schließlich wurde der Orden der Dominikaner mit dem „negotium inquisitionis“ beauftragt; anfangs noch ohne Übertragung der geistlichen Urteilsgewalt und eher der ursprünglichen Aufgabe des Ordens, der Häresiebekämpfung durch Predigt, verhaftet, später auch mit dem Recht zur selbständigen Gerichtsausübung (Segl 1998, 64). Darauf wird an geeigneter Stelle zurückzukommen sein.

    4. Von Predigern zu Inquisitoren

    Die Rolle der Dominikaner innerhalb der Ketzereibekämpfung beginnt vergleichsweise bescheiden. Unter Führung von Zisterziensermönchen, die ursprünglich von Papst Innozenz III. als Legaten nach Südfrankreich geschickt wurden, um gegen die Häretiker zu predigen, diese zu exkommunizieren und das Interdikt über betroffene Ländereien zu verhängen, beteiligte sich Dominikus an dieser „diplomatischen Mission“ (Wakefield 1974, 87-89). Vorrangig in Städten führen diese Männer anfangs öffentliche Debatten mit Vertretern der Katharer und suchen, deren theologische Überzeugung als häretisch zu entlarven. Im Zuge solcher in der Öffentlichkeit ausgetragener Debatten kam es wiederholt zu – auch gewalttätigen – Auseinandersetzungen, die schließlich in der Ermordung des päpstlichen Legaten Peter von Castelnau und anderer Zisterzienser im Januar 1208 gipfelten. In diesem Klima ständiger Gefahr für Leib und Leben ist es schließlich einzig Dominikus, der die ursprüngliche Predigtmission(12) zunächst allein fortführt.
    1215 schafft Dominikus dann mit einigen Mitstreitern, die sich ihm in Toulouse angeschlossen hatten, darunter u.a. Petrus Seila, eine Gemeinschaft von Predigern, die im Jahre 1217 als „Ordo fratrum Praedicatorum“ durch Papst Honorius III. anerkannt wurde. Es handelte sich bei diesen Männern aber keineswegs um Inquisitoren; ihre hauptsächliche und vorrangige Aufgabe bestand noch immer in der Predigt (Segl 1998, 63). Dominikus kann also nicht, wie sein Orden später für sich in Anspruch nahm, als erster Inquisitor gelten (Wakefield 1974, 137).
    Die oben erwähnte Ermordung Peters von Castelnau 1208 gilt einigen offenbar als eigentlicher Auslöser(13) des sog. Albigenserkreuzugs 1209-1229. Da der Graf von Toulouse, Raimund VII., sich weigerte, gegen die Täter, die man von Seiten der Kirche als Katharern identifizieren zu können glaubte, vorzugehen, wurde er kurzerhand der Mittäterschaft beschuldigt. Noch im Oktober 1208 erfolgte der Kreuzzugsaufruf durch Innozenz III., der beteiligten Rittern nicht nur die selben Ablässe wie für einen Kreuzzug ins Heilige Land, sondern auch Besitzrechte an den konfiszierten Ländereien der Ketzer in Aussicht stellte.
    1213 durch die Truppen Simon von Montforts bei Muret geschlagen, floh Raimund nach England, von wo er erst nach dem Tod Innozenz III. im Jahr 1216 zurückkehrte. Auch viele der zuvor geflohenen Katharer kehrten zu diesem Zeitpunkt nach Südfrankreich zurück und begannen ihre alten Zentren erneut zu besetzen (Wakefield 1974, 132).
    Beendet wurde der Ketzerkreuzzug allerdings erst 1229 durch das Eingreifen des französischen Königs Ludwig VIII. und der Eroberung der Grafschaft Toulouse. Daraus bzw. dem bereits genannten Versprechen des Papstes gegenüber den Kreuzfahrern, konfiszierte Ländereien in Besitz nehmen zu können, wird im Grunde deutlich, dass der Kreuzzug zu einem Eroberungskrieg gegen die südlichen französischen Grafschaften entartet war.(14) Sein eigentliches Ziel – die Ketzerverfolgung – jedoch verfehlte er.
    Sicher begleitete Dominikus während der ersten Jahre des Krieges die Truppen gelegentlich, die meiste Zeit verbrachte er allerdings predigend in der Gegend um Toulouse und Carcassonne. Dies kann v.a. für die Jahre nach der Gründung des neuen Ordens gelten. Vermutlich ist es auch auf das wegen der angespannten (kirchen-) politischen Situation dieser Zeit kaum dominikanerfreundliche Klima in Toulouse zurückzuführen, dass Brüder des Ordens in verschiedene Teile Europas ausgesandt wurden, um ihre Predigertätigkeit auszuüben und neue Ordensniederlassungen zu gründen. Dominikus selbst starb 1221 in Bologna.
    Der nach Ende des Albigenserkreuzzugs einsetzende Machtzerfall der Grafen von Toulouse und des in Südfrankreich verwurzelten häretischen Adels bildeten schließlich die Voraussetzung für die nun unter Papst Gregor IX. einsetzende konsequente Ketzerverfolgung. Die fehlenden Untersuchungen zu dessen Beziehungen (schon als Kardinal Hugolin!) zu den Dominikanern hat Segl (1993, 29) zu Recht als gravierendes Forschungsdefizit bezeichnet. Dies muss umso mehr angesichts der Tatsache gelten, da er als Legat Honorius III. bereits die Antiketzergesetze Friedrichs II von 1220 in der Lombardei publizieren und durchsetzen sollte (Segl 1998, 59).
    Bereits unmittelbar nach seinem Amtsantritt weist Gregor IX. in verschiedenen Empfehlungsschreiben rühmend auf die Predigerbrüder hin und hält Bischöfe wie Kleriker dazu an, alle Gläubigen auf die Predigten der Dominikaner aufmerksam zu machen (Segl 1998, 59f.). In denselben Zeitabschnitt fallen auch die eingangs erwähnten „Spezialaufträge“ in Sachen Ketzerbekämpfung, mit denen der Papst (schon zu Beginn seines Pontifikats) die Predigerbrüder betraut.(15)
    Schon während des Krieges, v.a. in der Zeit danach, verzeichnete der Dominikaner-Orden einen deutlichen Zuwachs an Mitgliedern, die zunehmend auch höhere Ämter besetzten (Wakefield 1974, 139).
    Der bereits seit 1227 als „inquisitor“ (im Sinne von „Aufspürer“) tätige Magister Konrad von Marburg erhält am 11.Oktober 1231 durch den Papst das Recht zur selbständigen Gerichtsausübung und den Auftrag, die Schuldigen dem weltlichen Arm zu übergeben (Segl 1998, 63). Diese Tätigkeit übte er offenbar bereits mit Unterstützung der Dominikaner aus (Wakefield 1974, 139). Die Tatsache, dass mit derartigen Vollmachten erstmals Inquisitoren mit einer vom Papst delegierten Gerichtsgewalt ausgestattet werden, hat dazu geführt, dass das Jahr 1231 in der Literatur gelegentlich als „Geburtsjahr“ der „Inquisition“ angebracht wird (Kolmer 1982, 111 und Patschovsky 1981), wenngleich dies nicht unumstritten ist (Segl 1993, 14f.).
    Die Schaffung eines ersten permanent bestehenden Tribunals von Dominikanern zur Untersuchung von Häresie-Verdachtsfällen durch Papst Gregor IX., ausgestattet mit den entsprechenden Vollmachten, kann jedenfalls im Languedoc in den Zeitraum 1233/1234 datiert werden. Die Dominikaner sollten die lokalen Bischöfe im Kampf gegen die Ketzer und die damit verbundenen Untersuchungen bzw. Verhandlungen unterstützen (Wakefield 1974, 140, Segl 1998, 64 und Kolmer 1982, 126f.).
    Die eigentliche Ketzerbekämpfung lag offiziell allerdings noch immer, das impliziert das Verbum „unterstützen“ deutlich, wie zuvor in der Hand der Bischöfe, die auf das bewährte Verfahren des Sendgerichts und die Hilfe von Synodalzeugen setzten. Aus den neuen vom Papst bevollmächtigten Legaten erwuchs ihnen allerdings eine Konkurrenz, die immer wieder zu Konflikten führte. Die neu ernannten Ketzerrichter nämlich scheinen mit großem Eifer an ihre Aufgabe, Häretiker und Häresie zu bekämpfen, gegangen zu sein. Der nachweisliche Erfolg scheint demgegenüber aber in der Anfangsphase nur sehr gering gewesen zu sein. Die Haupttätigkeit der Dominikaner im ersten Jahr ihres Wirkens scheint sich auf die Verurteilung bereits Verstorbener als Ketzer, deren Exhumierung und Verbrennung zu beschränken. So konnten die Mönche zwar ihren Eifer und ihre Unnachsichtigkeit demonstrieren, wirkliche Fortschritte aber machte die Ketzerbekämpfung auf diese Weise nicht. Neben dem Widerstand aus der Bevölkerung, der sich durch Absprache von Zeugenaussagen bis hin zu Tätlichkeiten gegen die Mönche erstreckte und z.T. auch von den weltlichen Machtinhabern ausging, waren es die Kompetenz- und Hierarchiestreitigkeiten mit den Bischöfen (die auch nach Schaffung der Inquisitionstribunale weiterhin ihre Vollmachten behielten), die das Vorgehen gegen Ketzer nachhaltig hemmten (Kolmer 1993, 86 und 92).
    Nichts desto Trotz bezeichnet Segl (1993, 25) die Ernennung der Dominikaner Guillelmus Arnaldi, Arnaldus Catala, Pontius von Saint Gilles und des bereits erwähnten Petrus Seila zu delegierten Richtern im Januar 1234 als die entscheidende Wende in der Bekämpfung der südfranzösischen Katharer. Das durch die Mönche angewandte Verfahren blieb – zumindest in der äußeren Form – dem seit 1200 entwickelten unverändert. Sie reisten im Land umher, predigten und warnten vor Ketzern und setzten schließlich Termine fest, an denen sich die Zeugen einzufinden und ihre Aussagen vor den Dominikanern zu machen hatten. Der Beschuldigte wurde mit den Ermittlungsergebnissen und Zeugenaussagen konfrontiert und erhielt dann – theoretisch – die Möglichkeit der Verteidigung. Theoretisch deshalb, weil die Sicherungsmittel, dem Beschuldigten die Namen der Zeugen und Inhalt deren Aussagen mitzuteilen, von den Dominikanern oft genug nicht eingehalten wurden. Auch über die vorgeschriebene Beratung des Falles in einem Gremium, zu dem weitere Kleriker hinzugezogen werden sollten, setzten sich die Mönche in vielen Fällen hinweg (Kolmer 1982, 134 und Ders. 1993, 93).
    Dies und die wiederholte Exhumierung und Bestrafung Verstorbener(16) brachte die Bevölkerung gegen die Dominikaner auf. In Toulouse kam es beispielsweise zu Unruhen; die Dominikaner wurden der Stadt verwiesen und es kam zu einer Unterbrechung deren Inquisitionstätigkeit in den Jahren 1238-1241. Der Widerstand der Häretiker wurde so groß, dass der Inquisitor Guillelmus Arnaldi 1242 gar ermordet wurde (Kolmer 1982, 145-147 und 162). Die Inquisition reagierte ihrerseits, eroberte 1244 die letzte Bastion der Katharer, die Festung Montségur und richtete einen Großteil der Besatzung nach entsprechenden Urteilen hin (Kolmer 1982, 176).
    In diesen Zeitraum fällt auch die Ausbildung des „klassischen“ Verfahrens der Inquisition; das Prozedere sollte sich danach vorläufig kaum mehr verändern, sondern festgelegten Ablaufmechanismen folgen. Man kann zu Recht davon sprechen, die Inquisition sei spätestens jetzt vollständig etabliert und einsatzbereit. Wichtigste Neuerung war das sog. „tempus gratiae“, eine Gnadenfrist, innerhalb derer der Aussagende mit einer geringeren Strafe belegt wurde, wenn er von sich aus gestand. Der Vorteil für die Inquisitoren lag darin, dass keine förmliche Verteidigung mehr erfolgen musste, dieser das Verfahren mitunter verkomplizierende Aspekt also entfiel und sofort zum Urteil geschritten werden konnte. Dies beschleunigte die Verfahren z.T. enorm (Kolmer 1993,95).
    Während aber vor anderen, weltlichen als auch kanonischen, Gerichten die Aussagen von Häretikern, Kriminellen, Komplizen und kleinen Kindern i.d.R. nicht zugelassen wurden, sind solche von den Inquisitoren nicht nur gehört, sondern auch bei der Urteilsfindung berücksichtigt worden. Anstelle der sonst üblichen mindestens zwei Belastungszeugen, genügte den Inquisitoren oft allein der Verdacht, eines Vergehens schuldig zu sein (Wakefield 1974,178). Auf eine Appellation mehrerer Bürger aus Limoux hin, die sich – erfolgreich – beim Papst nach ihrer Verurteilung durch die Inquisition beschwert hatten, geriet diese 1248 in eine, wie u.a. Kolmer (1993, 96) betont, schwere Krise, da die Inquisitoren uneinsichtig auf ihren Urteile beharrten und demonstrativ ihr Amt niederlegten (Kolmer 1982,189). Erst 1251 kehrten Inquisitoren wieder in ihre Ämter zurück, setzten sich dann aber bald gegen die – auch zwischenzeitlich weiterhin zuständigen – bischöflichen Gerichte durch, die unter Innozenz IV. eine nur noch beratende Rolle in den Inquisitionsprozessen einnahmen.
    Nach den bereits genannten anfänglichen Konflikten zwischen Dominikanern und Bischöfen bzgl. der Zuständigkeit in Sachen Ketzerverfolgung kann man für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts offenbar von einer vergleichsweise engen Zusammenarbeit zwischen Mönchen und Bischöfen, aber auch der weltlichen Gewalt, ausgehen (Hanssler 1997, 173). Es ist gar ein zugunsten der Dominikanerinquisition zurückgehender Einfluss der Bischöfe auf die Ketzerverfolgung feststellbar (Ebd.).
    Während in den Jahren zuvor eine Anwendung der Folter in Bezug auf die Inquisition nicht nachweisbar und auch kaum anzunehmen ist, hält diese 1252 mit Innozenz´ IV. Bulle „Ad extirpanda“ ganz konkret Einzug in den Inquisitionsprozess (Kolmer 1982, 208 und Ders. 1993, 96f.). Die Inquisitoren übernahmen für ihre Verfahren also Ergebnisse, die durch diese Art der Befragung gewonnen wurden, wenngleich betont werden muss, dass die Anwendung der Folter Klerikern verboten war und damit der weltlichen Gewalt vorbehalten blieb (Ebd.)(17). Diese zunehmende Aktivität und Effektivität der Inquisition ist wohl einer der Gründe für die schwindende Attraktivität und Einflussnahme der katharischen Gegenkirche am Ende des 13. Jahrhunderts. Ein weiterer Grund ist in der – trotz Inquisitionsausübung nicht unterbrochenen – Predigertätigkeit der Dominikaner zu suchen, mit der die Mönche es offenbar schafften, sich als ernsthafte Konkurrenz in Glaubensfragen zu den Katharern zu installieren und deren Anziehungskraft zu mindern. Spätestens im frühen 14. Jahrhundert war die katharische Kirche dann endgültig im Niedergang begriffen.(18)

    5. Inquisitionstätigkeit der Dominikaner in Toulouse

    Um den theoretischen Ausführungen der letzten Seiten einen praktischen Bezug zuzuordnen, soll im Folgenden die Tätigkeit der Dominikaner in der Ketzerinquisition gegen die Katharer am Beispiel der Stadt Toulouse untersucht werden. Toulouse bietet sich nicht nur wegen der in dieser Hinsicht geradezu hervorragend geeigneten Quellen an(19), sondern auch, weil es sich bei dieser Stadt um ein Zentrum katharischer Häresie und einer der ersten Wirkungsstätten Dominikus´ und des von ihm begründeten Ordens handelte. Bis zu den Albigenserkriegen scheinen katholische und katharische Glaubensvorstellungen in Toulouse friedlich nebeneinander existiert zu haben und gelegentlich sogar individuell kombiniert worden zu sein (Oberste 2003b, 258). Diese Jahre können als wesentlich für die Etablierung des Dominikanerordens in der Stadt und ihre Rolle innerhalb der Inquisition erachtet werden.
    Vor dem vierten Laterankonzil 1215 lag Toulouse wegen der Ereignisse, die zum Albigenserkreuzzug geführt hatten, unter Interdikt; der zuständige Bischof Fulko war zu dieser Zeit nicht in der Stadt anwesend. Als er im Sommer 1215 zurückkehrte, versuchte er, seine wiedererlangte Stellung durch Installation der Predigermönche in der Bischofsstadt zu festigen (Oberste 2003b, 29). Die Aufgabe der Mönche bestand also anfangs in der „Remissionierung“ der Stadt Toulouse in der Zeit der Wirren während und nach den Albigenserkriegen. Nach Ende dieser Kampfhandlungen 1229 wurden auf dem in Toulouse einberufenen Konzil vor allem die Frage der Häretikerverfolgung und eben auch der erwähnten Remissionierung erörtert und damit gewissermaßen der Grundstein der bald darauf einsetzenden Inquisitionsprozesse unter Beteilung der Dominikaner gelegt. Zu dieser Zeit also muss der Orden bereits einen entsprechenden Ruf aufgrund seiner Predigttätigkeit erworben und – zumindest zu einem gewissen Grad – in der Stadt Fuß gefasst haben.
    Wie gezeigt, wurden die Dominikaner nach dieser Zeit der Predigtmission im Jahr 1233 von päpstlicher Seite mit der Ketzerbekämpfung in Frankreich betraut.(20) Für die Diözese Toulouse war dabei anfangs Petrus Seila, einer der ersten Anhänger des Dominikus eingesetzt worden (Kolmer 1982, 128). Aufgrund der Intervention des Toulouser Grafen Raimund VII. gegen die ersten Ketzerprozesse, die fast ausschließlich gegen Verstorbene geführt wurden, wurde Petrus Seila schließlich aus Toulouse abgezogen und dessen Wirken auf die Diözese Cahors beschränkt (Kolmer 1982, 138). Für das weitere Wirken der Inquisition in Toulouse waren in den Jahren darauf v.a. die Dominikaner Guillelmus Arnaldi und Stephan von Saint-Thibéry 1236 bis 1238 und die Brüder Bernhard von Caux und Johannes von Saint-Pierre für die Jahre 1243 bis 1247 (Oberste 2003b, 144).
    Diese frühen mit der Exhumierung und Verbrennung verbundenen Verurteilungen von Toten waren es im übrigen auch, die große Teile der Bürgerschaft von Toulouse gegen die Dominikaner aufbrachte, zu feindlichen Reaktionen und Übergriffen gegen die Inquisitoren führte und 1234 gar im offenen Aufruhr in Toulouse gipfelte (Wakefield 1974, 142).
    Als schließlich auch noch Inquisitionsprozesse gegen die Konsuln der Stadt angestrengt werden – aus Sicht der Inquisitoren im übrigen nicht unbegründet, da viele konsularische Familien offenbar den Katharern nahe standen und Konsuln selbst dieser Sekte angehörten (Oberste2003b, 148f) – leisten diese erbitterten Widerstand und entscheiden 1235, unterstützt von Raimund VII., die Dominikaner der Stadt zu verweisen, ja diese gewaltsam zu entfernen. Daraufhin wurde die gesamte Stadtführung wegen Begünstigung der Häresie kurzerhand exkommuniziert (Oberst 2003b, 145 und Wakefield 1974, 147f.).
    Erst nach Intervention des Papstes, der das Vorgehen der Konsuln und die Billigung Raimunds in einem Schreiben scharf kritisiert und den Grafen unter Erinnerung an dessen Kreuzzugsgelübde auffordert, den kirchenfeindlichen Umtrieben in seiner Hauptstadt ein Ende zu bereiten, gibt Raimund VII. 1236 seine Zustimmung zur Rückkehr des Bischofs, des Inquisitors und der Dominikaner (Oberste 2003, Band 2, 145f.). Allerdings sieht sich der Graf von Toulouse offenbar nur wenig später aufgrund entsprechender aus der Toulouser Bürgerschaft an ihn herangetragener Aufforderungen erneut gezwungen, die Dominikaner zu ersuchen, ihre Inquisitionstätigkeit gegen bereits Verstorbene einzustellen, was diese ihres Auftrages gemäß ablehnen (Kolmer 1982, 138). Raimund legt daraufhin wiederholt Protest gegen die Rolle, die die Dominikaner in den Inquisitionsprozessen spielen, ein. Er fordert deren strenge Unterordnung unter die Jurisdiktion der Bischöfe, was der Papst zunächst zurückweist.
    Allerdings scheint die Tätigkeit der Dominikaner in der Tat zu zahlreichen Rechtsverstößen geführt haben, die von den Bürgern moniert werden konnten. Der Papst setzte schließlich diesbezüglich nicht nur eine Untersuchungskommission ein, sondern suspendierte die Inquisition gar. Obwohl ursprünglich nur für wenige Monate geplant, dauerte diese Unterbrechung schließlich drei Jahre von 1238 bis 1241 (Kolmer 1982, 145f.). Möglicherweise zweifelte der Papst gar selbst an der Unparteilichkeit der Dominikaner, und der Grund für die rasche Unterbrechung der von den Mönchen durchgeführten Untersuchungen ist hierin zu sehen.(21) Jedenfalls handelt es sich bei dieser ausschließlich um eine Misstrauenserklärung(22) an die eigenen delegierten Richter; die bischöfliche Jurisdiktion wurde hingegen nicht gestoppt – diese urteilten nach wie vor über Häretiker, nunmehr aber allein.
    Im Zuge dieser Appellation scheint es seitens der inquisitorisch tätigen Dominikaner zu einem Umdenken gekommen zu sein, denn während diese die vom Papst vorgeschriebene bischöfliche Mitwirkung in Ketzerprozessen anfangs ablehnten, lenkten sie nun ein und erkannten die bischöfliche Jurisdiktion in Glaubensangelegenheiten an (Kolmer 1982, 147).
    Der Widerstand der Häretiker ließ hingegen nicht nach und gipfelte schließlich vorläufig in der bereits angesprochenen Ermordung des Inquisitors Guillelmus Arnaldi 1242 und einer Radikalisierung der Häretikerverfolgung, die spätestens 1245 in einer groß angelegten Inquisition innerhalb Toulouse führte (Oberste 2003b, 154).
    Womöglich unter diesem äußeren Einfluss verloren die alten konsularischen Eliten, die sich im Widerstand gegen die Dominikaner bzw. deren Ermittlungen und Inquisitionstätigkeit profiliert hatten, zusehends ihren breiten Rückhalt in der Einwohnerschaft von Toulouse. Die Bewohner der Stadt legten nämlich, trotz Verbots und Androhung der Todesstrafe seitens Raimunds VII. (Oberste 2003b, 145) eine beeindruckende Aussagewilligkeit an den Tag. Ob dies wirklich in einer stärkeren Hinwendung zur römischen Kirche und dem Wunsch fester mit dieser verbunden zu werden, begründet lag, wie Oberste (2003b, 153) mutmaßt, sei dahingestellt. Jedenfalls setzt aber in den 40er Jahren des 13. Jahrhunderts eine spürbare diesbezügliche Tendenz in der religiösen Prägung der Kommune ein, die u.U. vom „Erfolg“ der von denDominikanern dort durchgeführten Ketzerinquisition zeugt.(23)

    6. Fazit

    Betrachten wir die Geschichte der Ketzerinquisition – in diesem Falle die gegen die Katharer – lässt sich festhalten, dass die ersten etwa ab Mitte des 12. Jahrhunderts ergriffenen Maßnahmen, die in erster Linie auf bischöfliche Gerichte zurückgingen, wenig erfolgreich waren. In nur mehr singulären Verfahren wurde gegen einzelne Ketzer ermittelt, nicht aber der Versuch unternommen, ganze Gruppen von Häretikern zu zerschlagen. Dies liegt unter anderem wohl auch daran, dass – auch von der späteren Inquisition – keine Ursachenforschung betrieben wurde, die Gründe für eine Abwendung von der römischen Kirche hin zur Häresie offenbar nicht interessierten, sondern allein der Tatbestand als solcher be- und verhandelt wurde. Die Ketzerbekämpfung war in ihren Ursprüngen reaktiv ausgerichtet, d.h. die entsprechenden Stellen handelten erst dann, wenn ein Ketzer aufgespürt wurde. Initiativen für größere Suchaktionen gingen von diesen nicht aus. Damit aber war das Aufspüren von Häretikern dem Zufall (nicht selten in Form von Denunziation) überlassen; eine Expansion der eigentlichen Sekte konnte durch die Zerschlagung von Kleinstgruppen kaum verhindert werden.
    Mit dem Vierten Laterankonzil von 1215 werden schließlich die päpstlichen Bemühungen deutlich, das Ketzerproblem zu lösen. Dort wird „Häresie“ als Nichtübereinstimmung mit der Lehre der katholischen Kirche definiert und das Vorgehen gegen Häretiker diskutiert. Kolmer (1982, 48) sieht hier, und der Verfasser ist geneigt dem zuzustimmen, eine Abkehr von der zuvor versuchten „correctio“ und Hinwendung zur „Unterdrückung“ der Häresie.
    Dies mündete schließlich in dem von Innozenz III. geschaffenen neuen Prozessverfahren„per inquisitionem“, das – obwohl ursprünglich gar nicht dafür geschaffen – bald Anwendung in der Ketzerbekämpfung fand. Damit lassen sich drei wesentliche Bedingungen zusammenstellen, die spätestens Mitte des 13. Jahrhunderts die Inquisition gegen die Katharer charakterisieren: eine juristische Grundlage, die das Vergehen („Häresie“) und dessen entsprechende Ahndung definiert; die weltliche Unterstützung bei der Ketzerverfolgung (die anfangs nur zögerlich agierte und schließlich unter Androhung der eigenen Exkommunikation gegen Ketzer vorging (Kolmer 1993, 86)) und nicht zuletzt mit speziellen Vollmachten ausgestattete, offizielle „Ermittler“. Für letztere wurden immer wieder die Mendikanten-Orden, im vorliegenden Fall die Dominikaner herangezogen.
    Dies muss angesichts des dieser Arbeit übergeordneten Themas von besonderem Interesse sein, denn in der bereits diskutierten Verknüpfung „Bettelorden und Stadt“ können – wie gezeigt – Ursache oder Schlüssel für die Etablierung der Orden innerhalb der sog. „Inquisition“erkannt werden.

    Fußzeilen

    1. Vgl. dazu u.a.: Borst 1953, Grundmann 1970 sowie Roche 1967.
    2. Spätestens ab Mitte des 13. Jahrhunderts stellten die Bettelorden dann eine ernsthafte Konkurrenz zu den Katharerndar; vgl. Kolmer 1993, 78f. und Oberste 2003 (Bd.2), 29.
    3. Vgl.Abschnitt 5. „Inquisitionstätigkeit der Dominikaner in Toulouse“.
    4. Hanssler räumt allerdings ein, dass eine Konzentration der katharischen Häresie auf städtische Zentren zumindest für die Frühzeit des Katharismus nicht völlig ausgeschlossen werden kann (Hanssler 1997, 72).
    5. Hier sind in erster Linie Albi, Carcassonne, Narbonne und selbstverständlich Toulouse zu nennen.
    6. Vgl. insbesondere auch Hansslers Bemerkung: „Diese Tendenz lässt sich auch aus den beiden anderen großen Quellensammlungen zu Häresie und Inquisition in Südfrankreich erschließen.“ (Hanssler 1997, 73, Fußnote 26).
    7. Eine entsprechende Untersuchung liegt nach Wissen des Verfassers bis dato nicht vor.
    8. Ein solches Amt wurde mit dem obersten päpstlichen Inquisitionstribunal in Rom erst 1542 durch Papst Paul III. geschaffen.
    9. Das frühmittelalterliche Gerichtswesen, das dem Geschilderten voranging, sah hingegen nicht vor, von sich aus – also ohne Klage – eine entsprechende Strafverfolgung einzuleiten.
    10. Hier sind v.a. die Anti-Ketzergesetze Kaiser Friedrichs II. (1220-1250) zu nennen, die 1220 durch Papst Honorius III. (1216-1227) initiiert und 1224, 1231 sowie 1232 wiederholt bzw. verschärft wurden.
    11. Vgl. dazu außerdem Kolmer 1993, 91, der festhält, die „Ketzerinquisition“ wie folgt zu definieren: „Ein päpstlich oder später bischöflich ausschließlich zur Ketzerbekämpfung delegierter Richter beschäftigt sich zeitlich nicht begrenzt mit Ketzerverfolgung. Er führt dabei das Ermittlungs- wie das Hauptverfahren bis zum Endurteil selbst und selbständig durch. Bei den Ermittlungen versucht er mit rationalen Erkenntnismitteln den Sachverhalt festzustellen. Im Verfahren erscheinen Offizial- sowie Instruktionsmaxime.“
    12. „Mission“ darf hier durchaus auch im Sinne von „Missionierung“, nämlich der der Anhänger häretischer Lehren, aufgefasst werden.
    13. Vgl. dazu u.a. Kolmer 1993, 85.
    14. Der Papst sicherte den Besitz von Häretikern u.a. König Ludwig VIII. zu, was nicht nur die Zahl der Ketzerprozesse steigerte, sondern wohl auch erst der eigentliche Anreiz für die Kreuzfahrer war, sich in Marsch zu setzen,vgl.: Kolmer 1993, 99f.
    15. Vgl. dazu: Segl 1998, 60. Dort auch Beispiele für derartige Aufträge.
    16. Die sich im übrigen auch direkt auf die Nachkommen derartig Verurteilter auswirkte, da die Konfiszierung des Besitzes eines Häretikers auch folgende Generationen betreffen konnte.
    17. Wie überhaupt die Todesstrafe nie das eigentliche Ziel der Inquisition war. Die Häretiker sollten ihrem Irrglauben abschwören; wer dies nicht tat, verlor vielmehr den Schutz der Kirche und wurde der säkulären Macht übergeben, die dann für die Bestrafung verantwortlich zeichnete, fasst Wakefield (1974, 180) zusammen.
    18. Vgl. dazu Hanssler 1997, 196ff.
    19. Vgl. z.B. Oberste 2003, Band 2.
    20. Gregors IX. „Ille humani generis“ vom 13. August 1233. Der Beginn der dominikanischen Inquisition in Toulouse selbst kann auf 1235 datiert werden (Oberste 2003, Band 2, 127).
    21. Ein weiterer denkbarer Grund wäre die Tatsache, dass dem Papst an Verhandlungen mit Raimund gelegen war, da dieser sich im Bündnis mit Friedrich II. befand, dessen Kampagne in Norditalien auch päpstliche Ländereien bedrohte.
    22. Wie Kolmer (1982, 147) es nennt.
    23. Von 1307 bis Ende 1323 leitete der Dominikaner Bernhard Gui das „officium inquisitionis“ in Toulouse. Obwohl sein Wirken außerhalb des hier untersuchten Zeitraumes liegt, darf er – schon allein seiner Prominenz wegen – an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.

    7. Bibliographie

    • Borst 1953: A. Borst, Die Katharer, Stuttgart 1953 (= Schriften MGH 12).
    • Grundmann 1970: H. Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik, Berlin 1935, Reprographischer Nachdruck: Darmstadt 41977 (= Historische Studien 267).
    • Hanssler 1997: M. Hanssler, Katharismus in Südfrankreich. Struktur der Sekte und inquisitorische Verfolgung in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, Aachen 1997.
    • Kolmer 1982: L. Kolmer, Ad Capiendas Vulpes, Bonn 1989 (= Pariser Historische Studien
    • 1993: ––, … ad terrorem Multorum. Die Anfänge der Inquisition in Frankreich, in: P. Segl (Hg.), Die Anfänge der Inquisition im Mittelalter, Köln-Weimar-Wien 1993 (= Bayreuther Historische Kolloquien 7), 77-102. 19).

    • Oberste 2003 a: J. Oberste, Zwischen Heiligkeit und Häresie. Religiosität und sozialer Aufstieg in der Stadt des hohen Mittelalters, Band 1: Städtische Eliten in der Kirche des Hohen Mittelalters, Köln 2003 (= Norm und Struktur 17,1).
    • 2003 b: ––, ––, Band 2: Städtische Eliten in Toulouse, Köln 2003 (= Norm und Struktur 17,2).

    • Roche 1967: D. Roche, Dominicains et Cathares, Cahiers d’ études cathares 18 (1967/34), 3-8.
    • Segl 1993: P. Segl, Einrichtung und Wirkungsweise der inquisitio haereticae pravitatis im mittelalterlichen Europa. Zur Einführung, in P. Segl (Hg.), Die Anfänge der Inquisition im Mittelalter, Köln-Weimar-Wien 1993 (= Bayreuther Historische Kolloquien 7), 1-38.
    • 1998: ––, Quoniam abundavit iniquitas. Zur Beauftragung der Dominikaner mit dem negotium inquisitionis durch Papst Gregor IX., Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 17 (1998), 53-65.
    • Trusen 1993: W. Trusen, Von den Anfängen des Inquisitionsprozesses zum Verfahren bei der inquisitio haereticae pravitatis, in: P. Segl (Hg.), Die Anfänge der Inquisition im Mittelalter, Köln-Weimar-Wien 1993 (= Bayreuther Historische Kolloquien 7), 39-76.
    • Wakefield 1974: W.L. Wakefield, Heresy, Crusade and Inquisition in Southern France 1100-1250, London 1974.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert