Geistliche im Mittelalter

Der vornehmste Stand des Mittelalters war die Geistlichkeit (auch Klerus genannt), die in ganz Europa eine vorherrschende Rolle einnahm. Die Kirche war im Mittelalter sozusagen die „Erzieherin der europäischen Völker“, denn mit ihrer überlegenen Stellung konnte sie erheblichen Einfluss auf die Bevölkerung ausüben. Schon mit ihrer Kleidung, der Tracht, hob sie sich von den übrigen Bevölkerungsschichten stärker, als ander Stände. Diese geistlichen Gewänder gingen auf die römische Provinzialkleidung zurück.

Die Organisation Kirche

In einer gewaltigen Organisation üerspannte die Hierarchie der Kirche die christlichen Länder Europas – mit dem Papst in Rom als Mittelpunkt dieser Organisation. Der Klerus trennte sich strikt von der übrigen Bevölkerung – einerseits durch die Kleidung und andererseits durch den Anschein der kulturellen Überlegenheit, der durch die leidenschaftliche Hingabe an das christliche Ideal zustande kam. Diese Hingabe blieb den „Deutschen“ lange Zeit fremdartig, jedoch hatte sie auch eine Ehrfurcht einflößende Wirkung, die durch die geistliche Vorrangstellung zustande kam und vielen Menschen auch heute noch bekannt sein dürfte.

Reichtum und Einfluss

Das Hochmittelalter war die Blütezeit des geistlichen Wirkens. Seit dem 11. Jahrhundert waren die Geistlichen von Familienbanden gelöst und hatten mehr Zeit, sich ihrem weltgeschichtlichem Kulturwerk zu widmen, indem sie zugleich die geistige als auch eine wirtschaftliche Großmacht darstellten. Denn durch zahlreiche Schenkungen an die Kirche, in denen Könige, Fürsten und Herren miteinander um Gottes Ansehen wetteiferten, erhoben sich die Bischöfe zur Stellung einflussreicher Territorialherren mit all den Vorrechten. Damit hatten sie die geistliche und die wirtschaftliche Macht inne. Den Bischöfen unterstand dann die niedere Geistlichkeit in der nähe des Bischofssitzes, der Klerus der Domkapitel, in weitgehender Abhängigkeit aber auch die Pfarrer in Stadt und Dorf.

In der Hand der Pfarrer lagen auch die zahlreichen priesterlichen Befugnisse: die Spendung der Sakramente, die Messe, die Predigt und die Seelsorge im weiteren Sinne. Die Bischofssitze waren in dieser Zeit die Hauptzentren kultureller Betätigung; viele Erwähnungen finden sich im frühen Mittelalter von Bildungs- und Kunststätten wie Trier oder Hildesheim. Den Erz- und Bistümern traten gleichzeitig die Klöster zur Seite. Der asketische Drang nach Entsagung führte zu immer neuen Gründungen und Schenkungen zugunsten der ständig wachsenden Ordensgeistlichkeit; und zahlreiche Abteien konnten sich an materieller Macht mit den Bistümern messen.
Diese Klöster wurden die bedeutendsten Orte mittelalterlichen Geisteslebens; und Klöster wie St. Gallen, Fulda, Reichenau, Hirsau, Tegernsee, Corvey usw. waren ehrwürdige Stätten künstlerischer und gelehrter Tätigkeit in einer Zeit, als sonst von Kultur im mittelalterlichen „Deutschland“ kaum die Rede sein konnte.

Rückgang der Bedeutung

Eine Wandlung der geistlichen Stellung des Klerus erfolgte seit dem 13. Jahrhundert. Zwar behielten Geistliche auch im Hoch- und Spätmittelalter ihre überragende Stellung dank der sich immer neu äußernden Formen christlicher Gläubigkeit. Aber in seiner tatsächlichen Bedeutung ging der geistliche Stand unaufhaltsam zurück.
In wirtschaftlicher Hinsicht entwickelte sich die Geistlichkeit mehr und mehr zur reaktionären Macht. Und trotz auftretender Feindseligkeiten zwischen Adel, Bürgertum und Bauern, waren sich diese drei Stände dennoch darin einig, sich gegen die erdrückende wirtschaftliche Macht des Klerus wehren zu müssen.
Der gleiche Rückgang äußerte sich auch in geistlicher Hinsicht: Die zunehmende Verweltlichung führte zwar zu erhöhter kultureller Betätigung des Klerus, aber der Träger dieser Kultur waren nicht mehr die Geistlichen, sondern die einfache Bevölkerung selbst. Nur die Ordensgeistlichkeit blieb dem geistlichen Ideal treu.

Ausprägungen des Klerus

Seit dem 12. Jahrhundert führten die Prämonstratenser und danach die Zisterzienser die wirtschaftliche Betätigung der Mönche in eine neue Blütezeit. Sie hatten mit ihrer Rodungsarbeit und ihrem organisierten Wirtschaftsbetrieb einen großen Anteil an der Erschließung neuen Koloniallandes in Nord- und Ostdeutschland. Die Franziskaner und Dominikaner wurden ein Jahrhundert später die Träger der scholastischen Wissenschaft an den Universitäten. Vor allem aber stellten die Bettelorden die Volksprediger des späten Mittelalters. Den religiösen Bedürfnissen der Masser der Bevölkerung kamen sie durch ihre volkstümlichen Predigten entgegen und übten damit großen Einfluss aus. Mit besonderem Nachdruck nahmen sie sich dabei den sozial tieferen Schichten an.

Das Schlagwort der „Christlichen Freiheit“ wurde gegen den hohen und niederen Weltklerus ausgespielt und seine Durchsetzung hat den mittelalterlichen Charakter des geistlichen Standes letztendlich zerstört. Die Christliche Freiheit ist das Gefühl der Zufriedenheit mit dem, was Gott gegeben hat. Dadurch erlangt man die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob und was man noch möchte.

Quelle:

  • Herre, Paul. Deutsche Kultur des Mittelalters im Bilde. Leipzig: Verlag von Quelle und Meyer, o. J