Der schwarze Tod

Inhalt

Der wütende schwarze Tod

Eingeleitet und vorbereitet durch die heftigsten Erschütterungen im Leben der Erde und des sie umhüllenden Luftkreises, bricht aus dem fernsten Asien eine Pest hervor, um alle bekannten Länder zu überziehen und viele Millionen ihrer Bewohner ins Grab zu stürzen.

„Nicht die Verschiedenheit des Himmelsstriches“ – dies sind die Worte eines der wichtigsten Berichterstatter, Covino’s – „nicht der Süden oder die reine Luft des Nordens, nicht die Wärme noch Kälte des Klimas vermag die entsetzliche Krankheit aufzuhalten. Sie dringt in die Gebirge, wie in die Täler, in Binnenländer, wie zu Inseln, in Ebenen wie in hügeliges Gelände; nicht Wald noch See noch Sumpf lässt sie verschont. Sie folgt dem Menschen auf den Wellen des Ozeans, sie dringt in Dörfer, Lager und Städte. Vergebens wird die Kälte des Winters herbei gesehnt; die Seuche achtet nicht des Wechsels des Mondes und des Standes der Gestirne, nicht des feuchten Südwindes und des rauhen Nord. In gleichem Maaße sinken Männer und Frauen, Greise und Kinder dahin, am meisten aber dräut das Verderben hoffnungsvollen Müttern. – Bald Diesen, bald Jenen erfasst der Tod, und wenn es scheint, er wolle weichen, so erhebt er aufs Neue seine Wut; er wellt bald hier bald dort und herrscht jetzt an entlegenen, dann wiederum an nahen Orten.“

Es scheint, als habe die Vorsehung beschlossen, das Geschlecht der Menschen durch eine allgemeine Seuche auszurotten. Bevor die Pest die Landstriche erreicht, macht sich Entsetzen in der Bevölkerung breit; sobald sie um sich greift entlockt sie den Menschen unendlichen Jammer, der noch lange danach bestehen bleibt. Selbst die Unerschrockensten verzagen bei einem Elend, das jeder menschlichen Hilfe mit Hohn begegnet. In langen Reihen streckt der Tod seine Opfer dahin. Nichts mehr hat dort einen Wert, wo das blühendste Leben, die üppigste Fülle der Kraft vergeht, wie ein Hauch des Windes. Alle göttlichen und menschlichen Gesetze sind gelöst, sobald die Pest um sich greift. Die heiligsten Bande des Blutes sind zerrissen; frei und ungescheut erhebt sich jedes Verbrechen und jedes Laster, denn es gibt keine Macht mehr, es zu verhindern und zu bestrafen, wenn Ordnungshüter und Richter der Pest zum Opfer gefallen sind.

Die sozialen und politischen Zustände Europas zur Zeit der großen Pestepidemie

Die Verheerungen des schwarzen Todes fallen in eine der denkwürdigsten Epochen der Geschichte von Europa. Schon durch die Kreuzzüge war ein neuer Geist enstanden. Durch die Züge in das heilige Land war der Gesichtskreis der abendländischen Nationen unendlich erweitert worden; das Volk war zum Bewusstsein seiner Kraft erwacht; es fasste Vertrauen zu sich selbst, je mehr die Mächtigen, denen es sich bis dahin fast willenlos gefügt hatte, durch Übermut ihren Untergang vorbereiteten.

Aber der neue, bessere Zustand sollte nicht ohne schweren leiblichen und geistigen Kampf errungen werden. Am meisten wurde Europa durch den blutigen Krieg bewegt, der zwischen König Philipp von Frankreich und Eduard III. von England entbrannt war, seitdem das Haus der Valois den französischen Thron bestiegen hatte (im Jahre 1328). Mitten in die Schrecken dieses Krieges brach die schwarze Pest hinein.

In der Schlacht von Cressy (26. August 1346) hatten die Kanonen der Engländer 40.000 Franzosen dahingestreckt. Nach einer achtzehn-monatigen Belagerung bemächtigte sich Eduard der Stadt Calais; da brach die Seuche aus und brachte sowohl den Siegern als auch den Geschlagenen gleichmäßig fast den völligen Untergang.

Nicht weniger wurde Deutschland in dieser Zeit durch die so häufig wiederkehrende Verwirrung der Kaiserwahl zerrissen: Stephan, Kaiser Ludwigs Sohn, verheerte Bayern und Schwaben.Dem Tode des Kaisers (11. Oktober 1347) folgte, mitten in den Verheerungen der Pest, die kurze Regentschaft Günthers von Schwarzburg (1349) bis endlich in dembselben Jahre Karl IV. das Zepter ergriff.

Genauso bewegt zeigten sich der Osten, der Süden und Norden von Europa. Dort entbrannte der Kampf der Polen gegen die Moskoviten; an den Ufern der Ostsee wurden die gerade bekehrten Esten durch die Unterdrückungen ihrer Fürsten zum Heidentum zurück „bekehrt”. Litauen wurde durch ihre Rache und die folgenden Verheerungen zur Einöde. In Italien wurden die bis dahin blühenden Republiken durch innere Zwietracht ihrem Untergang geweiht und man kann nicht sagen, wie viel der schwarze Tod zu diesem Untergang beigetragen hat.

Die Pest trat also zusammen mit politischen Unruhen auf. Aber nicht nur das, hinzu kamen große Hungersnöte, die durch schlimme Naturereignisse hervorgerufen wurden – auch schon bevor die Pest kam. Man schätzt, dass ein Drittel der gesamten Bevölkerung Europas in diesen Pestjahren starb.

Quelle:

  • Heinrich Haeser: Lehrbuch der Geschichte der Medicin und der Volksrankheiten, ab Seite 262, Jena: Friedrich Mauke Verlag, 1845.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert