textus brevis

Inhalt

  1. Einleitung
  2. Über den „textus brevis“
  3. Untersuchung der Gründe für Aufnahme und Anordnung der einzelnen Briefe
  4. 3.1 Betrachtung unter chronologischen Gesichtspunkten3.2. Betrachtung der jeweiligen Adressaten3.3. Betrachtung inhaltlicher Zusammenhänge der Briefe3.4. Ergebnis

  5. Fazit
  6. Bibliographie
  7. Anhang:  Arbeitstabelle – Übersicht „textus brevis“ 
  8.               Erläuterungen zur Tabelle

I. Einleitung

Die Briefe Bernhards von Clairvaux sind im Wesentlichen nicht durch einzelne erhaltene Exemplare, sondern durch bereits im Mittelalter angefertigte Editionen überliefert.Dabei lassen sich aus heutiger Sicht drei Redaktionsstufen unterscheiden, die zeitlichaufeinander aufbauen. Während die frühe Fassung Bernhards „corpus epistolarum“, der sog. „textus brevis“ um 1140 mit 68 Briefen noch vergleichsweise wenig Material veröffentlichte, waren es in den folgenden Editionen, 1145 „textus longior“ und 1153 „textus perfectus“, immerhin schon 242 bzw. sogar 283 Briefe.Die momentan aktuelle kritische Edition der Werke Bernhards von Clairvaux enthält 547 Briefe, was etwa der Hälfte seiner gesamten Korrespondenz entsprechen dürfte.Bei einer Sammlung und Veröffentlichung von Briefen stellt sich immer die Frage nach der Gliederung. Für den Leser ist eine Einordnung in größere Zusammenhänge ohnehin mitunter recht schwierig, da derartige Sammlungen naturgemäß meist nur eine Hälfte der Korrespondenz enthalten – im konkreten Fall die Briefe, die Bernhard verschickte.Möglicherweise vorhandene Anschreiben an Bernhard (sofern es sich bei dem entsprechenden Brief in der Sammlung um eine „Antwort“ handelte) oder Reaktionen auf dessen Briefe liegen nur in den seltensten Fällen vor. Für eine Beurteilung einzelner Briefe in einer solchen Sammlung ist der historische Hintergrund, vor dem die Korrespondenten agierten, ihr Verhältnis zueinander und zu den betreffenden Ereignissen von besonderer Wichtigkeit. Umso interessanter ist die Frage nach den Gründen, aus denen ein Brief für die Veröffentlichung in einer Edition ausgewählt wurde. Welche Bedeutung, welche Aussage maß man einzelnen Texten bei, die man in die Sammlung aufgenommen hatte? Welche Motivation stand hinter der Anordnung, in der die Briefe veröffentlicht wurden? Wurde eine bestimmte Absicht mit der vorliegenden Reihenfolge verfolgt; sollte das so entstehende „Gesamtbild“ eine bestimmte Botschaft vermitteln?Einige dieser Fragen, zumindest im Hinblick auf die erste Briefsammlung, den „textus brevis“ zu beantworten, soll Ziel dieser Arbeit sein.
Im Anhang findet sich eine dieser Arbeit zugrunde liegende tabellarische Übersicht, in der die einzelnen im „textus brevis“ enthaltenen Briefe erfasst und bezüglich Datierung, Adressaten und Inhalt geordnet sind. Dort finden sich auch zu jedem Brief die entsprechenden Quellenangaben.

2. Über den „textus brevis“

Eine erste nachweisbare Briefsammlung Bernhards von Clairvaux, der sog. „textus brevis“,(1) ist uns durch sieben Handschriften aus dem 12. Jahrhundert überliefert, von denen vier aus Zisterzienserklöstern der Linie Morimond stammen. Zusätzlich existieren weitere sechs Handschriften aus dem 13. bis 15. Jahrhundert.Aufgrund der Abfassungsdaten der 68 enthaltenen Briefe wird diese erste Sammlung in den Zeitraum um 1140 datiert.(2) Die vorhandenen Handschriften überliefern eine insgesamt einheitliche Anordnung der Briefe,(3) wobei auffällt, dass sie weder chronologisch geordnet sind, noch der Abfolge späterer Redaktionen entsprechen. Ein Punkt, der für die folgenden Betrachtungen von Interesse sein wird. Es muss zudem hervorgehoben werden, dass diese Sammlung keineswegs vollständig ist, also nicht alle zum Zeitpunkt des Erscheinens (1140) vorhandenen Briefe Bernhards aufgenommen wurden. Des Weiteren finden sich hier Briefe, die keinen Eingang mehr inspätere Editionen gefunden haben.(4) Da die Briefe in den verschiedenen Handschriften dieser ersten Sammlung insgesamt einen recht einheitlichen Eindruck vermitteln und nur geringe Abweichungen im Wortlaut auszumachen sind, wird davon ausgegangen, dass die Briefe in einem relativ ursprünglichen Zustand vorliegen. Ob allerdings schon zu diesem Zeitpunkt Überarbeitungen an den originalen Texten vorgenommen wurden, kann nur schwer nachvollzogen werden, da noch ältere Überlieferungen dieser Briefe selten bzw. gar nicht bekannt sind.

3. Untersuchung der Gründe für Aufnahme und Anordnung der einzelnen Briefe

In Bezug auf die Gründe und Absicht der Aufnahme einzelner Briefe und deren Anordnung in dieser ersten Redaktion, vermerkt Teubner-Schoebel:

„Einheitliche, für uns nachvollziehbare Kriterien sowohl für die Auswahl der Briefe als auch für deren Anordnung sind bei dieser ersten Sammlung nicht zuerkennen. Sicherlich wird die Bedeutung, die der Kompilator den einzelnen Briefen zumaß, eine Rolle gespielt haben; die Bedeutung konnte sich einerseits auf den Inhalt des Briefes selbst, andererseits auch auf den Empfänger des Briefes beziehen.“(5)

Den Versuch, eben diesen meist nicht auf den ersten Blick erkennbaren Zusammenhang, die möglicherweise doch vorhandenen Parallelen innerhalb und zwischen den einzelnen Briefen und die unter Umständen daraus resultierende Gliederung des „textus brevis“ aufzuzeigen, soll folgende Untersuchung vornehmen.

3.1. Betrachtung unter chronologischen Gesichtspunkten

Die in den „textus brevis“ aufgenommenen Briefe datieren zwischen 1116 und 1140. Untersucht man nun die Anordnung der einzelnen Briefe in Bezug auf ihr Entstehungsdatum, so ergibt sich kein chronologisch schlüssiges Bild. Im Gegenteil: Betrachtet man ausschließlich die Datierung der Briefe, gewinnt man den Eindruck einer anscheinend völlig ungeordneten, geradezu willkürlichen Aneinanderreihung. Zwar scheint es abschnittsweise eine Massierung bestimmter Jahreszahlen oder wenigstens eines Zeitraumes zu geben (z.B. datieren die in der Sammlung aufeinander folgenden Briefe 158, 156, 159, 150 und 152 in das Jahr 1133 bzw. 1134 und die Briefe 143, 178, 314, 136, 129, 131, 130, 132 und 133 in den Zeitraum 1134/1135), aber in der Gesamtheit betrachtet, können diese Beispiele kaum als beweiskräftige Argumente für eine sicher nachweisbare Intention der ersten Kompilatoren in diese Richtung herangezogen werden. Welche Gründe auch immer für die Reihenfolge der Anordnung Bernhards Briefe in dieser ersten Sammlung ausschlaggebend waren, deren Entstehungszeit spielte dabei offensichtlich keine ursächliche Rolle.

3.2. Betrachtung der jeweiligen Adressaten

Im Gegensatz zu den vorangegangenen Betrachtungen bezüglich der Datierung der Briefe, kann in der Reihenfolge derselben hinsichtlich ihrer Empfänger durchaus ein differenzierteres Bild gezeichnet werden. Schon die ersten drei Schreiben (Brief 65, 78 und 254) haben die Gemeinsamkeit, jeweils an (wenn auch verschiedene) Äbte adressiert zu sein. Die beiden folgenden Briefe (11 und 12) sind an die Karthäuser bzw. deren Prior gerichtet. Während sich die nun anschließenden vier (2, 1, 107 und 69) an jeweils verschiedene Einzelpersonen richten, hier also kein Zusammenhang hergestellt werden kann, sind die nächsten beiden Schreiben (72 und 73) wieder an dieselbe Person, nämlich den Abt von Foigny adressiert. Würde man in diesem Zusammenhang den Empfänger lediglich auf sein Amt reduzieren, könnte man auch den vorangegangenen Brief (69) sowie die folgenden sechs Epistel (82, 83, 102, 85, 79 und 70) in diese Reihe einordnen, denn alle diese sind an Äbte gerichtet. Auch diesich daran anschließenden Briefe (87, 88 und 89) tragen eindeutig dieselbe Adresse, namentlich den Regularkanoniker Ogerius. Der dann eingeschobene Brief an Kaiser Lothar (139) steht für sich allein. Ihm folgen je zwei Briefe an verschiedene Magister (104 und 106) sowie an die Mönche von Flay (68 und 67).
Die nächsten vier Schreiben (96, 98, 8 und 111) hingegen haben, zumindest was deren Empfänger betrifft, augenscheinlich keine Berührungspunkte. Auch die sich anschließenden Epistel (114 und 118) werden lediglich dadurch verbunden, dass sie beide an (allerdings verschiedene) Frauen gerichtet sind. Die folgenden fünf Briefe (125, 91, 24, 141 und 127) lassen, allein aufgrund der Adressaten, ebenfalls keine Rückschlüsse auf möglicherweise vorhandene Verbindungen zu.
Ganz im Gegensatz zu den sich nun anschließenden Briefen (158, 156, 159, 150 und 152), die allesamt an Papst Innozenz II. gerichtet sind. Abgesehen von den dann eingeschobenen vier Schreiben (25, 113, 126 und 143) an verschiedene Empfänger, sind die direkt folgenden Briefe (178, 314 und 136) ebenfalls für Innozenz bestimmt gewesen. Die sich dann anschließenden fünf Briefe (129, 131, 130, 132 sowie 133) haben die Gemeinsamkeit, an große Bevölkerungsgruppen ganzer Städte gerichtet zu sein. Die letzten Briefe (392, 168, 212, 169, 124, 359 4, 83, 416, 406, 119, 102, 312, 42) schließlich scheint hinsichtlich der Adressaten kaum etwas zu verbinden, abgesehen davon, dass sie nahezu sämtlich an den Klerus gerichtet sind, die aufeinander folgenden Briefe 216 und 169 wiederum an Papst Innozenz, Brief 359 an Papst Calixt. Hingewiesen sei an dieser Stelle außerdem darauf, dass die bereits zuvor besprochenen Epistel 83 und 102 in diesem Abschnitt erneut auftauchen, sie wurden doppelt kopiert. Ob darin eine bestimmte Absicht lag oder es sich um ein Versehen handelt, muss sich im Laufe dieser Untersuchung noch zeigen. Hinsichtlich der Adressaten jedenfalls scheint kein schwerwiegender Grund vorzulegen, diese Briefe jeweils doppelt, in verschiedenen Zusammenhängen, zu veröffentlichen.
Eine gewisse Kohärenz bezüglich der Empfänger innerhalb der Briefsammlung kann jedoch durchaus erkannt werden. So lassen sich in der Tat bestimmte Blöcke ausmachen, deren Adressaten in Verbindung zueinander stehen, mitunter sogar identisch sind. Häufiger jedoch haben diese lediglich einen bestimmten Titel, ein Amt oder gar nur das Geschlecht gemein. Einen Zusammenhang allein aufgrund dieser Ergebnisse zu konstruieren, scheint grundsätzlich möglich, wäre allerdings zu oberflächlich. Denn, das haben obige Ausführungen gezeigt, die Aufnahme eines einzelnen Briefes lässt sich nicht in jedem Fall allein aufgrund des Adressaten in Bezug zu vorhergehenden oder nachfolgenden Briefen setzen.

3.3. Betrachtung inhaltlicher Zusammenhänge der Briefe

Konnte schon im Hinblick auf die Empfänger der Briefe Bernhards eine gewisse Massierung ähnlicher oder identischer Personengruppen festgestellt werden, so gilt dies für inhaltliche Parallelen umso mehr. Obwohl es mitunter schwer fällt, einige Briefe bestimmten, ganz konkreten Sachverhalten zuzuordnen (ganz einfach weil Bernhard oft mehrere Probleme in einem Schreiben behandelte), können auch hier aufgrund der Reihenfolge, der Anordnung einzelner Briefe bestimmte Themenkomplexe herausgestellt werden.
Die ersten drei in der Sammlung enthaltenen Briefe (65, 78 und 254) lassen sich ganz klar als Lobbriefe charakterisieren. Bei den beiden folgenden Schreiben kann eine derart eindeutige Verbindung nicht gezeigt werden, da es sich einerseits um eine Abhandlung (Brief 11), andererseits um einen persönlicheren Brief (12) handelt.(6) Unter den sich anschließenden dreizehn Schreiben (2, 1, 107, 69, 72, 73, 82, 83, 102, 85, 79, 70 und 87) können immerhin neun (2, 1, 107, 69, 73, 82, 102, 79 und 87) als Mahnbriefe bzw. Briefe, die Ratschläge enthalten, zusammengefasst werden. Möglicherweise lässt sich auch ein weiterer Brief (70) dieser Gruppe zurechnen, der zwar eher eine Abhandlung zum Thema Barmherzigkeit enthält, in diesem Zusammenhang aber auch einen speziellen Rat, nämlich den im Umgang mit einem eigensinnigen Mönch, gibt. Die übrigen drei (72, 83 und 85) dieser ursprünglich erwähnten dreizehn Briefe lassen sich allerdings nicht hier einordnen.
Inhaltlich lassen sich auch die beiden folgende Epistel (88 und 89) nur miteinander verbinden, wenn man sie darauf reduziert, dass Bernhard sich in beiden für die Kürze seines Schreibens entschuldigt.(7) Es folgen fünf Briefe (139, 104,106, 68 und 67), von denen immerhin drei (139, 68 und 67) auf innerkirchliche Konflikte anspielen, wobei das erste Schreiben sich auf das Schisma von 1130 bezieht, und nur am Rande auf einen Konflikt eingeht, auf den ein früherer (aber im „textus brevis“ später folgender) Brief Bezug nimmt.(8) Die beiden anderen hingegen beziehen sich sogar direkt aufeinander. Die übrigen beiden eingeschobenen Briefe (104 und 106) enthalten Aufforderungen an (jeweils verschiedene) Magister, die sich jedoch nicht in die angesprochene Kategorie „innerkirchliche Konflikte“ einreihen lassen.
Es schließen sich zwei Lobbriefe (95 und 96), eine Abhandlung (98) und drei Briefe mit Ratschlägen bzw. wohlmeinenden Mahnungen an (8, 111 und 114). Dann folgen ein weiterer Lobbrief (118)und ein Brief, der sich erneut dem Schisma widmet (125). Dieser kann allerdings auch als auffordernder Ratschlag aufgefasst werden,(9) was wiederum eine Verbindung zu dem sich anschließenden Schreiben (91) herstellt, das ebenfalls eine als Ratschlag zu verstehende Ermahnung beinhaltet. Nach einem sich hier anschließenden Lobbrief (24) und einem weiteren als Mahnung aufzufassenden Schreiben (141) folgt ein Brief, der sich wieder mit dem Schisma befasst (127). Insgesamt fällt es also sehr schwer, diesen Abschnitt aufgrund inhaltlicher Parallelen zu einem Komplex zusammenzufassen. Zwar gibt es einige wiederkehrende Motive, wie z.B. das Schisma und den mahnenden Charakter mancher Briefe, allerdings ohne den starken Bezug zueinander, der die vorhergehenden Abschnitte auszeichnete.
Das ändert sich jedoch im folgenden Abschnitt, denn die nächsten vier Briefe (158, 156, 159 sowie 150) befassen sich allesamt mit der Ermordung des Priors von Saint-Victor. Es schließen sich zwei weitere Ratschläge enthaltene Briefe an (25 und 113). Obwohl letzterer zwar in erster Linie Lob enthält und nur am Rande auch ermahnenden Charakter zeigt, erscheint es mir dennoch sinnvoll beide Briefe aufgrund dieser Gemeinsamkeit zusammenzufassen.
Auf den ersten Blick haben auch die nächsten drei Schreiben (126, 143 und 178) wenig gemein. Der erste bezieht sich einmal mehr auf das Schisma, im zweiten entschuldigt sich Bernhard in Clairvaux für seine lange Abwesenheit, und im dritten findet sich die oben bereits kurz angedeutete Beschwerde Bernhards bezüglich des Missbrauches von Appellationen an den Papst durch verschiedene Bischöfe. Möglicherweise lässt sich aber dennoch eine Verbindung zwischen diesen scheinbar ohne Bezug zueinander stehenden Briefen konstruieren. Denn in einem anderen, bereits weiter oben besprochenen Schreiben bezüglich des Schismas (Brief 139) erwähnte Bernhard auch die eben angesprochenen in Bernhards Augen unangemessenen bischöflichen Appelle. Auf diese Weise kann zumindest zwischen den Briefen 126 (Schisma) und 178 (bischöfliche Appelle) eine Brücke geschlagen werden. Inwiefern der dritte, zwischen beiden stehende Brief 143 in dieses Bild passt, darüber können nur Vermutungen angestellt werden.
Auch die beiden nächsten Epistel (314 und 136) müssen für sich allein stehen; zwar wird in beiden Fällen auf Auseinandersetzungen eingegangen, im ersten jedoch auf einen innerkirchlichen Konflikt und im zweiten auf einen zwischen Kirche und Laien. Einen deutlicheren Zusammenhang kann man in den folgenden fünf Schreiben (129, 131, 130, 132 und 133) erkennen, denn diese richten ihre Appelle jeweils an verschiedene Städte respektive deren Bewohner. Appelle, die in den Zusammenhang des mehrfach genannten Schismas einzuordnen sind. So fordert Bernhard z.B. die Mailänder auf, weiterhin zu Innozenz als „wirklichem“ Papst zu stehen (Brief 131), nachdem er die Kleriker der Stadt bereits in einem früheren Brief (132)(10) dafür gelobt hatte, mit ihrem Bekenntnis zu Innozenz zur Einheit der Kirche zurückgekehrt zu sein. In einem anderen Schreiben (Brief 130) lobt er hingegen die Pisaner ausdrücklich für deren Ergebenheit gegenüber Innozenz.
Während der nächste Brief (392), eine Ermahnung zur Demut enthaltend, separat für sich allein stehen muss, können die sich anschließenden drei Schreiben (168, 212 und 169) wieder zu einem Block zusammengefasst werden, der bischöfliche Konflikte zum Inhalt hat. Es folgt ein weiterer Brief bezüglich des Schismas (124), der keinerlei Bezug zu den unmittelbar vorhergehenden und folgenden Briefen erkennen lässt, während die beiden nächsten Briefe (359 und 4) den innerkirchlichen Konflikt um Morimond thematisieren.(11)
Den verbliebenen sieben Episteln (83, 416, 406, 119, 102, 312 und 42) einen gemeinsamen Kontext zu geben, fällt ungleich schwerer. Zwar kann eine gewisse inhaltliche Ähnlichkeit zwischen den Schreiben 416 und 406, das monastische Leben betreffend, erkannt werden, die übrigen Briefe jedoch weisen ein derart vielfältiges Themenspektrum auf, dass eine inhaltliche Verknüpfung unmöglich scheint. Bei den Briefen 119 und 312 beispielsweise handelt es sich um Dankschreiben; der zwischen beiden eingeschobene Brief 102 allerdings beinhaltet einen davon unabhängigen Ratschlag. Der letzte Brief (42) hingegen kann am ehesten als Traktatbrief bezeichnet werden.
So zeigt sich einmal mehr, dass zwar mit Sicherheit viele Briefe inhaltlich verbunden sindbzw. gemeinsame Bezüge zeigen, ein solcher Kontext aber nicht zwangsläufig auf alle im „textus brevis“ veröffentlichten Schreiben übertragen werden kann.

3.4. Ergebnis

Nach Abschluss dieser Betrachtungen kann man bezüglich der Anordnung Bernhards Briefe im „textus brevis“ festhalten:
Chronologische Überlegungen spielten offensichtlich keine oder eine nur sehr untergeordnete Rolle bei der Zusammenstellung dieser ersten Briefsammlung. Zwar ist in einigen Fällen, festzustellen, dass aufeinander folgende Briefe zeitlich nah beieinander liegen; im Gesamtbild jedoch überwiegt eine Anordnung der Briefe, die, zumindest was deren Datierung betrifft, keine nachvollziehbare Intention erkennen lässt. In diesem Zusammenhang muss v.a. bedacht werden, dass Briefe, die sich auf ein bestimmtes Ereignis beziehen, zwangsläufig auch zeitlich nah beieinander liegen werden.
Anders verhält es sich bei den Adressaten, an die die Schreiben gerichtet sind.(12) Zwar gibt es auch hier Abschnitte, in denen Briefe aneinander gereiht sind, die sich an jeweils völlig verschiedene Personen oder Personengruppen richten, aber über weite Teile ist ein Zusammenhang erkennbar. So lassen sich regelrechte Blöcke ausmachen, die Briefe enthalten, die immer an dieselbe Person adressiert sind(13) oder zumindest an Personen, die durch ein Amt oder einen Titel vereint sind.(14) Schon allein die Ergebnisse dieser Betrachtung in Bezug auf die Empfänger der jeweiligen Briefe bieten Argumente für die Aufnahme der Briefe in die Sammlung und deren Anordnung in der vorliegenden Reihenfolge.
Zieht man dazu nun den Vergleich des Inhaltes dieser Briefe heran, so bestätigt sich das zuvor gewonnene Bild. Über weite Strecken lassen sich einzelne Schreiben zumindest in weiter gefassten Kontexten mehrheitlich in Bezug zu vorangegangenen oder nachfolgenden Briefen setzen. Man kann durchaus einzelne Themenkomplexe zusammenstellen und diesen dann Briefe zuordnen. Während der erste Teil der Briefsammlung Lobschreiben und Ratschläge bzw. Belehrungen enthält, wird der zweite überwiegend von Schreiben Bernhards bezüglich die Kirche betreffender Konflikte(15) beherrscht. Ein kleinerer dritter Teil schließt die Sammlung mit Dankschreiben und das geistliche Leben betreffenden Abhandlungen ab.
Eine noch offene Frage stellen die beiden doppelt aufgenommenen Briefe 83 und 102 dar. Sie tauchen jeweils zwei Mal in den verschiedenen noch erhaltenen Handschriften des „textus brevis“ auf; einerseits im ersten Drittel (an Stelle 13 bzw. 14 innerhalb der Sammlung), andererseits im letzten Drittel (an Stelle 62 bzw. 66). Warum wurden beide Schreiben mehr als einmal aufgenommen? Dass es sich nur um ein Versehen oder einen Fehler handelt, scheint recht unwahrscheinlich. Vielmehr kann man wahrscheinlich davon ausgehen, dass sie in den dargestellten bzw. konstruierten Zusammenhängen eine bestimmte Rolle einzunehmen hatten. So sind beide an Äbte gerichtet und enthalten Anweisungen bzw. Ratschläge. Sie passen also sowohl thematisch, als auch in Bezug auf ihre Empfänger in diesen zweiten großen Abschnitt, der Briefe zusammenfasst, die an Äbte adressiert sind und in ihrem Inhalt im wesentlichen eine ratgebende Funktion einnehmen.
Im letzten Drittel der Sammlung taucht Brief 83 noch einmal in anderem Zusammenhang auf. Zum einen fügt er sich zeitlich in das dortige Umfeld ein; während er selbst um das Jahr 1121 entstanden sein muss, datieren die Briefe in unmittelbarer Nachbarschaft ebenfalls in die erste Hälfte der 20er Jahre des 12. Jahrhunderts. Aber auch thematisch lässt sich ein Bezug zu den nachfolgenden Schreiben herstellen. Während sich nämlich Brief 83 auch damit beschäftigt, wie die Disziplin untergebener Mitbrüder aufrecht zu erhalten ist, kommen spätere Briefe auf dieses Thema zurück. In Brief 406 bittet Bernhard den Abt von Saint-Nicolas um Wiederaufnahme eines reumütigen Mönches, und in Brief 102 gibt er Anweisungen, wie mit einem widerspenstigen Mönch zu verfahren sei. Damit schließt sich auch dieser Kreis, denn das erklärt zugleich auch das wiederholte Auftauchen letzteren Briefes.

4. Fazit

Auch wenn nicht für jeden einzelnen Brief geklärt werden kann, warum dieser nun ausgerechnet an jener Stelle innerhalb der Briefsammlung veröffentlicht wurde, kann doch festgehalten werden, dass es möglich ist, für das Gros der Schreiben einen sinnvollen und nachvollziehbaren Zusammenhang zu erkennen. In den meisten Fällen erschließt sich dieser Kontext über den Inhalt der Briefe, wiederkehrende Themen bzw. den Bezug auf ein bestimmtes Ereignis. In anderen Fällen kann ein identischer Adressat oder die zeitliche Nähe der Schreiben zueinander das verbindende Element sein. Mitunter finden sich auch Briefe in der Sammlung, die zwei oder gar drei dieser Merkmale erfüllen, d.h. dass sie sich nicht nur inhaltlich und chronologisch aufeinander beziehen, sondern auch an ähnliche oder identische Empfänger gerichtet sind.(16)
Zwar lassen sich keine regelrechten Kriterien oder Vorgaben zur Zusammenstellung des „textus brevis“ ausmachen, aber wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, handelt es sich bei diesem auf der anderen Seite auch nicht um eine zufällige, planlose Zusammenstellung. Eine gewisse Absicht muss den Kompilatoren also unterstellt werden, auch wenn die Gründe im Einzelnen nicht mehr in jedem Fall nachzuvollziehen sein mögen.17 Die deutlich auszumachenden briefübergeifenden Themenkomplexe, der durchaus vorhandene zeitliche Bezug und der, zwischen den Adressaten der Briefe, zeigen diese Absicht nachdrücklich.

Fußzeilen

  1. Diese Bezeichnung für die erste von drei Redaktionen der bernhardinischen Briefsammlung geht auf JeanLeclercq zurück, vgl. dessen Einleitung zur Briefedition in Leclercq und Rochais.
  2. Teubner-Schoebel, S. 10.
  3. Enthalten sind, basierend auf der Handschrift von Admont 451, die Leclecq als typisch für diese Gruppebezeichnet, die Briefe 65, 78, 254, 11, 12, 2, 1, 107, 117, 69, 72, 73, 82, 83, 102, 85, 79, 70, 87-89, 139, 104,106, 68, 67, 95, 96, 98, 8, 111, 114, 118, 125, 91, 24, 141, 127, 158, 156, 159, 150, 152, 25, 113, 126, 143, 178,314, 136, 129, 131, 130, 132, 133, 392, 168, 212, 169, 124, 359, 4, 416, 406, 119, 312, 42. Die Briefe 83 und102 sind doppelt kopiert. (Leclercq und Rochais I, S. XI, zitiert nach Teubner-Schoebel, S. 10).
  4. Beispielsweise Brief 359.
  5. Teubner-Schoebel, S. 10f.
  6. Verwiesen sei jedoch auf den in beiden Fällen identischen Adressaten, vgl. Abschnitt 3.4.
  7. Auch hier muss allerdings der identische Empfänger eine Rolle spielen, vgl. Abschnitt 3.4.
  8. Es handelt sich hierbei um Brief 178, in dem Bernhard das Vorgehen von Bischöfen beklagt, die sich inStreitfällen direkt an den Papst wandten, ohne eine Schlichtung auf lokaler Ebene überhaupt versucht zu haben.
  9. Bernhard fordert in diesem Schreiben den Magister Gottfried von Loroux dazu auf, im aktuellen Streit für PapstInnozenz einzutreten.
  10. Der im „textus brevis“ jedoch erst nach dem zeitlich eigentlich früheren Brief 131 aufgenommen wurde.
  11. Der dortige Abt hatte das Kloster verlassen, um ins Heilige Land zu ziehen und Bernhard versuchte ihn zuüberzeugen, zurückzukehren.
  12. Die Tatsache, dass nicht immer feststellbar ist, ob es sich bei einem Brief um ein Anschreiben oder dieAntwort auf einen anderen Brief handelt, kann eine Zuordnung zuweilen schwierig machen. Bei vielen Briefenlässt sich schon anhand der Grußformel erkennen, ob Bernhard auf einen Brief antwortet. Nicht wenige Briefeallerdings sind ausgerechnet um diese Stellen gekürzt.
  13. Dazu zählen z.B. die Briefe 158, 156, 159, 150, 152, die alle an Papst Innozenz II. gerichtet sind.
  14. Die Briefe 69, 72, 73, 82, 83, 102, 85, 79 und 70 z.B. sind immer an Äbte adressiert.
  15. Sowohl innerkirchlicher, wie z.B. dem Schisma, als auch solcher zwischen kirchlicher und weltlicher Macht.

    5. Bibliographie

    Quellen:

    • Leclercq, J. und Rochais, H. (Hg.): Sancti Bernardi opera, Bd. 7-8: Epistolae, Rom 1974/1977.
    • Winkler, G. B. (Hg.): Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke lateinisch/deutsch, Bd. 2-3, Innsbruck 1992.

      Literatur:

      • Elm, K. (Hg.): Bernhard von Clairvaux. Rezeption und Wirkung im Mittelalter und in der Neuzeit, Wiesbaden 1994.
      • Fechner, H.: Die politische Tätigkeit des Abtes Bernhard von Clairvaux in seinen Briefen, Köln 1933.
      • Teubner-Schoebel, S.: Bernhard von Clairvaux als Vermittler an der Kurie. Eine Auswertung seiner Briefsammlung, Bonn 1993.

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