Deutschlands Zustand zur Merowingerzeit

Wissenschaften

Ihr werdet leicht einsehen, dass bei den beständigen Einfällen und Verheerungen so vieler barbarischer Völker, die besonders Italien überschwemmten, die Wissenschaften und Künste nicht länger gedeihen konnten. Jedermann war nur bedacht, sein eigenes und der seinigen Leben und Vermögen zu retten. Die Gelehrten verloren bald allen Mut; die Schulen gingen ein; es waren für junge Männer, die Trieb zu den Studien in sich fühlten, weder Bildungsanstalten, noch andere Hilfsmittel vorhanden.

Inhalt

Mönche führen den letzten Rest Bildung weiter

Unter den Mönchen und den Weltgeistlichen allein hatte sich ein dürftiger Rest von Gelehrsamkeit erhalten. Doch zeichnete sich noch in Italien der brave Boethins, geb. 470, unter dem ostgothischen Könige Theodorich, durch ein gut geschriebenes Buch, über die philosophischen Trostgründe im Unglück, aus. Ihr werdet euch erinnern, dass dieser edle und gelehrte Mann unschuldig hingerichtet wurde.

Zeitrechnung

In jene Zeit gehört auch der Geschichtschreiber Procopius aus Cäsarea, (562 Präfect von Konstantinopel) ein Staatsdiener des Kaisers Justinian, der die merkwürdigsten Begebenheiten seiner Regierung beschrieben hat. Auch dürfen wir den gelehrten römischen Abt, Dionysius den Kleinen, nicht vergessen, der anfing, die Jahre von der Geburt Christi an zu zählen und dem wir also unsere jetzige Zeitrechnung zu verdanken haben. Er lebte im sechsten Jahrhundert, aber erst zweihundert Jahre darauf wurde diese Zeitrechnung allgemein im Abendlande, und noch später im Morgenlande eingeführt. Ihr würdet euch daher sehr irren, wenn ihr glaubtet, gleich nach Christus habe man die Jahre von seiner Geburt an gezählt.

Neue Sprachen

In Italien, in Gallien, in Hispanien, in Britannien, kurz in allen Ländern, die lange der Herrschaft der Römer unterworfen waren, wurde meistens Latein gesprochen, doch gleichzeitig auch, besonders in den untern Ständen, die alten Landessprachen. Nun aber, da durch die Einfälle so vieler fremder, meistens deutscher Völker, die Römer ganz aus diesen Ländern vertrieben wurden, hörte auch im gemeinen Leben ihre Sprache auf.

Es bildeten sich aus den Überresten des Latein, aus der Mundart der alten Landesbewohner und aus derjenigen der neuen Ankömmlinge mehrere neue Sprachen, wie das Italienische, das Französische, das Spanische; zumindest wurde in dieser Periode der Grund dazu gelegt. Das Lateinische aber gebrauchte man nur noch zu Büchern und andern schriftlichen Aufsätzen.

In Italien, wo sonst durchaus Latein gesprochen wurde, entstand die italienische Sprache, die deswegen auch noch die meiste Ähnlichkeit mit der lateinischen hat; in Gallien die französische, die sich schon weiter davon entfernte, und in Hispanien die spanische, die auch sehr davon abwich. Die wenigsten Spuren finden sich in der englischen, weil die römische Sprache dort nicht so lange gangbar war, wie in Gallien und Italien, und sich außer den Angelsachsen in der Folge noch mehrere andere Völker in Britannien niederließen.

Zweikämpfe

Die Zweikämpfe als Erbe der Völkerwanderung

Den deutschen Völkern, die sich über den größten Teil von Europa verbreiteten, haben wir auch die berüchtigten Duelle oder Zweikämpfe zu verdanken, von welchen die gesitteten Völker des Altertums, außer dem Kriege nichts wussten. Wenn sich zwei feindliche Krieger einander bei einem Treffen begegneten, da stürmten sie freilich auf einander los, und ließen nicht eher nach, als bis einer von ihnen auf dem Platze liegen blieb; aber niemals hätte Achill Agamemnon, von dem er beleidigt worden war, zu einem Zweikampfe herausgefordert.

Der Sieger des Zweikampfes bekam Recht

Ganz anders aber dachten und handelten die Deutschen. Sie glaubten, so wie ganze Völker, können auch einzelne Familien und einzelne Personen Krieg mit einander führen. Die Obrigkeiten bestärkten sie in diesem Gedanken, denn sie verboten die Zweikämpfe nicht; nur verlangten sie, dass dieselben nicht heimlich, sondern öffentlich, vor Kampfrichtern und nach bestimmten Gesetzen geschehen sollten. Sie gingen noch weiter, denn wenn Einer von dem Andern angeklagt war, und es fehlte an einem hinlänglichen Beweis, so wurde beschlossen, dass beide Teile miteinander kämpfen sollten; derjenige, der seinen Gegner besiegte, wurde für den Recht habenden Teil erklärt.

Der Zweikampf als Ursprung der Gottesurteile

Man glaubte, der Himmel würde sich des Unschuldigen sicher annehmen, und seinen Arm stärken. Deswegen gehörte der Zweikampf auch unter die so genannten Ordalien oder Gottesurteile, von denen ich euch sogleich noch mehr erzählen werde, und durch welche eine Menge schuldloser Personen um Ehre und Leben kamen. Diese Gottesurteile sind – dem Himmel sei es gedankt – schon längst bei uns abgeschafft; allein der leidige Zweikampf hat sich erhalten, so scharf er auch in ganz Europa verboten ist.

Quelle:

  • Dr. Georg Ludwig Jerrer: Die Weltgeschichte für Kinder, Band 2, 5. Ausgabe, Nürnberg: Verlag von Friedrich Campe, 1833.

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