Wissenschaft im Mittelalter

Generell waren die europäischen Wissenschaften im Mittelalter nicht so weit entwickelt wie in der Antike, bzw. hat die Wissenschaft sozusagen einen Rückschritt gemacht. Dieser entstand durch die Wirren der Völkerwanderungszeit und den dadurch tobenden Kriegen und Plünderungen. Viel Wissen wurde zerstört durch das Töten von gelehrten Menschen und das Zerstören von Büchern. Aber selbst die Überlebenden konnten ihr Wissen als Spezialisten nicht anwenden, da die Strukturen dafür nicht mehr vorhanden waren – bspw. mussten keine großartigen neuen Bauwerke entworfen werden oder es gab keine Nachfrage mehr nach neuesten Erkenntnissen in der Astronomie etc.
Die Wissenschaften wurden nach der Antike sozusagen auf Null zurück gesetzt und konnten sich ab dem frühen Mittelalter wieder in eigenen Ausprägungen entwickeln, bis im Hochmittelalter wieder respektable Leistungen in manchen Gebieten der Wissenschaften erzielt wurden.

Die sieben freien Künste

Ganz eigenständig waren die mittelalterlichen Wissenschaften jedoch nicht, denn einige klassische, wissenschaftliche Werke der Antike wurden gerettet und als Grundlage des sich neu entwickelnden Wissens genutzt. Das vorhandene Wissen wurde während der Völkerwanderungszeit (oder noch während der Spätantike) in das System der sieben freien Künste zusammengefasst. Diese sieben Disziplinen wurden in zwei Stufen eingeteilt: Das Trivium und das Quadrivium. Die erste Stufe (das Trivium – daher auch der Ausdruck „trivial“) umfasste die „einfacheren“ Wissenschaften. Die zweite Stufe (das Quadrivium) umfasste die mehr mathematisch ausgerichteten Wissenschaften:

1. Das Trivium
– Grammatik
– Rhetorik
– Dialektik

2. Das Quadrivium

– Musik
– Astronomie
– Arithmetik
– Geometrie

Dieses System behielt über das gesamte Mittelalter Gültigkeit, bspw. im Aufbau des Unterrichts an Schulen oder Universitäten.

Theologie

Auch wenn die christliche Religion für das europäische Mittelalter eine übermächtige Bedeutung hatte, tauchte sie in diesem Bildungssystem nicht auf. Was aber nicht bedeutet, dass sie vergessen wurde. Denn die Theologie als christliche Religionswissenschaft schwebte beherrschend über den übrigen Wissenschaften und wurde in den Klosterschulen, die lange Zeit die einzigen Bildungsanstalten waren, eingehend gelehrt.
Auch an Universitäten wurde die Theologie gelehrt, hier aber ab dem Hochmittelalter mit scholastischem Hintergrund – also wurden die religiösen Glaubenssätze hinterfragt und mit Argumenten betrachtet, die sie widerlegen oder beweisen sollten. Somit unterschied sich die scholastische Theologie an Hochschulen von der monastischen Theologie in Klöstern.

Eine Voraussetzung für die Entwicklung der scholastischen Theologie war, dass die in den freien Künsten stark vertretene Grammatik zugunsten der auf Vernunft gegründeten Dialektik eetwas zurücktrat. Daraus konnte sich dann die ebenfalls auf Vernunft gegründete Logik als eigenständiger Wissenschaftszweig entwickeln. Dieser wiederum erweiterte sich im Laufe der Zeit und brachte schließlich die Wissenschaft der Philosophie hervor. Thomas von Aquino vereinte schließlich im 13. Jahrhundert die Theologie und die Philosophie zu einem gemeinsamen Zweig der Wissenschaften.

Weitere Entwicklung des Systems der Wissenschaft

Das wissenschaftliche Interesse des Mittelalters bewegte sich keineswegs in Richtung der Forschung und Durchdringung von Sachverhalten, wie wir es heute kennen. Ziel der Wissenschaften war damals, so viel Wissen wie möglich zu vermitteln; dabei war man an starre Gesetze gebunden. Das Augenmerk lag auf den formalen Wissenschaften des Triviums. Aber schaffte es eine Wissenschaft in den Kreis der realen (mathematischen) Wissenschaften des Quadriviums, baute man sie energisch aus. So wurden die Grenzen des Systems der sieben freien Künste mit der Zeit zwar gesprengt, man behielt jedoch noch den Namen bei.
Erst der Humanismus hat endgültig mit der von der kirchlichen Autorität gestärkten Überlieferung gebrochen und unsere moderne Wissenschaft begründet.

Quelle:

  • Herre, Paul. Deutsche Kultur des Mittelalters im Bilde. Leipzig: Verlag von Quelle und Meyer, o. J