Auswirkungen der Pest

Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pest

Mit den ergreifendsten Schilderungen haben Boccaccio, Petrarca, de Mussis, Covino und unzählige Andere die Auswirkungen und die Folgen der Seuche geschildert. Wir werden diese Schilderung nicht erneuern, sondern nur einen raschen Blick darauf werfen, was de Mussis treffend beschrieb.

„Allein in seinem Elend lag der Kranke in seiner Behausung. Kein Verwandter wagte ihm zu nahen, kein Arzt seine Wohnung zu betreten, selbst der Priester reichte ihm nur mit Entsetzen das Sakrament. Mit herzzerreissendem Flehen riefen Kinder ihre Aeltern, Väter und Mütter ihre Söhne und Töchter, ein Gatte die Hülfe des andern an. Vergebens! Und selbst die Leichen der Ihrigen wagten sie nur zu berühren, weil Niemand sich fand, der um Lohn sich den letzten Pflichten unterzog. Weder die Stimme des Heroldes, noch der Schall der Posaune, nicht Glockenklang, noch Todtenamt versammelte Freunde und Verwandte zur Leichenfeier. Die Leichname der Edelsten und Vornehmsten wurden von den Geringsten und Verworfensten zur letzten Ruhe gebracht, da unsägliche Furcht alle ihre Freunde und Genossen von dem Sarge zurückscheuchte.“

Inhalt

Die Buße

Ausführlicher gedenken wir der moralischen Wirkungen, die der schwarze Tod auf die Gemüter der Menschen ausübte. Diese Wirkungen waren überaus verschieden. Die Kleinmütigen überließen sich Voll und Ganz dem überwältigenden Eindruck des Entsetzens und es wird nicht selten berichtet, dass der Tod nur aus Furcht eintrat. Die einzige Handlung, zu der die Verzweifelten noch fähig schienen, war die Buße. In Lübeck brachten die Kaufleute all ihr Gold zu den Kirchen und Klöstern. Als die Klöster, aus Furcht vor der Ansteckung, ihre Pforten verschlossen, warfen die Kaufleute das Gold über die Klostermauern hinein. Unzählige Reichtümer flossen in den Besitz der Kirche, teils als Geschenke der Reumütigen, teils als Vermächtnisse der Verstorbenen. Hierdurch gewann der Klerus zwar an Macht, es brachte aber auch mit sich, dass viele ungebildete, durch die Pest verwitwete Personen, in den geistlichen Stand eintraten.

Zügellosigkeit

Andere Personen nahmen die Pest zum Anlass, vor dem unvermeidlichen Untergang noch einmal die ungezügeltsten Freuden zu genießen. So gaben sich in Frankreich die Bewohner ganzer Städte der Lust des Tanzes hin. In Neuburg an der Donau feierte man Gastmähler und Hochzeiten, um die Todesgedanken zu verdrängen. Dasselbe berichtet Boccaccio auch von Florenz. In Bern veranstaltete der Magistrat sogar einen Faschingszug ins Simmental.

Am bedrückendsten aber ist der Anblick der moralischen Zustände, der sich überall unmittelbar nach der Suche zeigte. Die Menschen wurden zügellos. Dieses sittliche Verderben, sagt Covino, war größer als das leibliche. Kaum waren die Schrecken des schwarzen Todes an den entsetzten Völkern vorüber gegangen, als alle niederen Leidenschaften umso ungezügelter hervorbrachen, je leichter sie durch das reiche Erbe der bald vergessenen Opfer der Seuche befriedigt werden konnten. Es schien, als ob die furchtbare Nähe des Todes die Lust am Leben und am Genuss nur gesteigert habe. Die gemeinste Habsucht bemächtigte sich der Menschen, das Verbrechen erhob sich ungehindert, da es der weltlichen Macht an Gesetzeshütern fehlte. Diebstahl und Raub nahmen überhand und selbst die offenbare Lebensgefahr schreckte die zügellose Habsucht nicht ab, sich über das unbewachte Gut der Verstorbenen herzumachen.

Solche Frevel begingen mancherorts selbst die Geistlichen. Die Mönche der schwäbischen Klöster Weissenau, Ochsenhausen und Blaubeuren zogen nach Ulm, um ihre Reichtümer zu verprassen. Der Andrang der Pilger zum Jubiläum des Jahres 1350 war so ungewöhnlich groß, dass die größten Unordnungen aufkamen, und dass Karl VI., König von Frankreich, fünfzig Jahre später seinen Untertanen die Teilname an der Wallfahrt verbot, „im Interesse des Reiches sowohl als der heiligen Religion“.

Wirtschaftliche Folgen und Bauernarmut

Zu den schlimmsten wirtschaftlichen Folgen der Pest, die hauptsächlich die ärmeren Stände heimgesucht hatte, gehörte der Mangel an Arbeitskräften. Der Lohn stieg zu einer solchen Höhe an, dass sich die Behörden genötigt sahen, außergewöhnliche Maßregeln einzusetzen. Durch den Verfall der Straßen und Brücken, heißt es in einem anderen französischen Bericht, wurde die Kommunikation erschwert, Handel und Industrie verschwanden fast vollkommen, der Landbau wurde fast ganz vernichtet. Die Hälfte des Bodens verwilderte, ganze Dörfer wurden verlassen und eingeäschert, es gab weite Landstrecken, auf denen man mehr wilde Tiere als Menschen traf. Dazu trug die Verödung des Landes durch die Pest ebenso bei, wie die Unterdrückungen der Bauern durch den Adel und zahllose Räuberbanden. Wenn wir hierzu noch die Erbitterung des Volkes über den, von den Juden systematisch betriebenen, Wucher rechnen, so können wir ahnen, dass die Verzweiflung schon damals die Bauern dazu trieb, sich sowohl gegen Adel und seine Burgen als auch gegen die Juden zu erheben.

Todesfreudigkeit

Daneben gibt es auch Berichte über Hochherzigkeit mancher Menschen. Am meisten wird die Berufstreue der Franziskaner gerühmt, von denen allein in Deutschland über 100.000 gestorben sein sollten. Mit noch größerer Todesfreudigkeit sehen wir die Mitglieder der weiblichen Orden erfüllt, von denen allein in Paris mehr als 500 in der Ausübung der Krankenpflege erlagen. Dennoch wurden ihre Reihen immer wieder durch neu Eintretende aufgefüllt. Solche Beispiele trugen in Vielen dazu bei, die Gedanken auf das Jenseits zu richten und selbst das lebensfrohe Kindesalter gab rührende Beweise todesmutigen Gottvertrauens. „Und hierüber“, sagt die Mannfelder Chronik, „trug sich’s dann gleichwohl zu, dass man die Leute, auch junge Kinder, sahe mit Freuden, etliche betend, etliche singend, von dieser Welt abscheiden.“

Quelle:

  • Heinrich Haeser: Lehrbuch der Geschichte der Medicin und der Volksrankheiten, ab Seite 262, Jena: Friedrich Mauke Verlag, 1845

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