Zustand der Kultur zur Ottonenzeit

Einführung

Immer noch erscheinen die Deutschen in dem Zeitraum zwischen Karl dem Großen (814) bis zu den Kreuzzügen (1096) als ein rohes und ungestümes aber tapferes Volk. Ihre Nachbarn und Verwandten, die Franzosen, hatten sich in eben dieser Zeit viel feiner gebildet und waren ihnen in mehreren Stücken ganz unähnlich geworden. Daher entstand auch nach und nach eine merkliche Abneigung unter beiden Völkern, die sich bis auf unsere Zeiten fortgepflanzt hat. Die Franzosen erklärten die Deutschen für streitsüchtige, dem Trunk ergebene, ungeschliffene Bengel, die Deutschen die Franzosen für leichtsinnige, alberne Gecken und Weiberknechte.

Inhalt

Die Deutschen nehmen Kultur an

Indessen verfeinerten sich doch allmählich die Sitten der Deutschen, teils durch ihre Züge nach Italien, wo sie mit der Lebensart der Italiener, ihrer Art und Kunst Bekanntschaft machten und teils durch den Handel, der sich immer weiter ausbreitete. Durch ihn wurden die meisten Städte am Rhein und an anderen schiffbaren Flüssen, besonders Hamburg, Bremen und Magdeburg immer reicher und wo Reichtum ist, da blühen auch bald Gewerbe und Künste aller Art und machen die Sitten feiner und milder.

Durch die Bearbeitung der Harzbergwerke kam, wie ich euch schon erzählt habe, eine erstaunliche Menge Silber unter die Deutschen. Sie verlegten sich daher mit Eifer auf das Schmelzen, das Schmieden und Gießen der Metalle. Es wurden auch Münzstätten angelegt und einheimische Münzen, statt der fremden, geprägt, die bis dorthin im Umlauf waren. Freilich zeugten sie von wenig Kunst und Geschmack. Es waren so genannte Hohl- oder Blechmünzen mit unförmigen Bildern auf der einen Seite erhoben, auf der anderen vertieft, ungefähr so wie unsere gepressten Rockknöpfe aus Messing; dafür waren sie aber von desto feinerem Silber und nicht, wie viele unserer heutigen Münzen, halb mit Kupfer versetzt. Dadurch wurde der Verkehr sehr erleichtert und man brauchte nicht mehr, wie vorher, seine meisten Bedürfnisse gegen Getreide oder Vieh einzutauschen.

Seit Heinrich I. fing man auch in den neu angelegten Städten an, viele Wollzeuge und Leinwand zu weben, auch Kleidungsstücke zum Verkauf daraus zu fertigen. Nach und nach trieb man einen immer lebhafteren Handel damit, besonders nach Preußen, wo man Marderfelle und anderes Pelzwerk dagegen eintauschte, denn die Verbrämungen der Kleider mit solchen Pelzstreifen war ein Luxus in der damaligen Zeit.

Die Rückständigkeit der Deutschen

Die Hauptbeschäftigung der Deutschen bestand aber immer noch in Krieg und Jagd, in Feldbau und Viehzucht, dann in den nötigsten Hantierungen, die zur Leibesnahrung und ersten Notdurft gehörten. Um die Erlangung anderer nützlicher wissenschaftlicher Kenntnisse bekümmerte man sich noch immer sehr wenig. Die Schulen, die Karl der Große angelegt hatte, waren unter seinen Nachfolgern wieder eingegangen. Otto der Große, der 122 Jahre nach Karls Tod zur Regierung kam, konnte in seiner Jugend weder lesen noch schreiben; er lernte es erst als Mann, als er schon mit seiner zweiten Gemahlin vermählt war. Deswegen schändeten sich auch in jenen finsteren Zeiten die Deutschen auf mancherlei Art durch Unwissenheit und Aberglauben.

So wurde z. B. der Mönch Gerbert (der spätere Papst Sylvester II.), der in Magdeburg eine Gewichtuhr sehen ließ, die er gefertigt hatte, für einen Hexenmeister gehalten, der mit Hilfe eines bösen Geistes das Zauberwerk gemacht habe. Man hatte dort noch nie eine solche Uhr gesehen und das Volk besaß noch nicht so viele Begriffe von der Mechanik, dass es die Möglichkeit eines für sich fortgehenden Uhrwerks hätte begreifen können. Teufel, Hexen und Gespenster spukten überall umher, die albernsten Wundermärchen und Sagen von dem nahen Untergang der Welt fanden Glauben.

Als Otto der Große nach Italien gezogen war, entstand eine Sonnenfinsternis. Seine Soldaten waren überzeugt, dass dies der Anfang zu der Zerstörung der Welt sei und gerieten darüber so sehr in Schrecken, dass sie vor Angst in Weintonnen, Kisten und Wannen krochen, so wie sich noch in unseren aufgeklärten Zeiten manche Leute vor Donner und Blitz unter einen Haufen Betten verstecken.

Schrift kannten nur Geistliche

Aus Büchern hätte damals der gemeine Mann, wenn er auch die Kunst zu lesen verstanden hätte, keine Belehrung schöpfen können, denn sie wurden alle in lateinischer Sprache geschrieben. Schon zu Anfang dieses Zeitraums erschien von Eginhard, dem Biographen und Geheimschreiber Karls, eine gute Lebensbeschreibung Karls des Großen. Unter den anderen Schriftstellern jener Zeit zeichnet sich im 10. Jahrhundert eine gelehrte Nonne, Roswitha, in dem Kloster Gandersheim aus. Sie war eine geschickte Dichterin, von der wir noch sechs lateinisch geschriebene Schauspiele haben. Schon vor ihr erschienen des lombardischen Bischofs Luitprand angenehm und freimütig verfasste Geschichtsbücher.

Wittekind, ein Mönch im Kloster Corvey, schrieb um das Jahr 1000 die Geschichte der sächsischen Könige und ein Geschichtsbuch gleichen Inhalts wurde beinahe um eben dieselbe Zeit von Ditmar, einem Bischof zu Merseburg, verfasst. Lambert von Aschaffenburg, ein Mönch im Kloster Hirschfeld, lebte ungefähr 60 Jahre später (1077). Wir verdanken ihm ein sehr gut geschriebenes Jahrbuch der Weltgeschichte vom Ursprung des menschlichen Geschlechtes an bis auf seine Zeiten.

Ihr seht, dass alle genannten Schriften von Geistlichen waren. Wirklich beschäftigten sich diese aber noch mit Bücherschreiben und Abschreiben.

Die kämpfende Geistlichkeit

Die Geistlichen waren aber nicht bloß Gelehrte, sondern auch oft – was euch vielleicht wundern wird – herzhafte Soldaten. Die Bischöfe führten das Schwert so leicht wie ihren Hirtenstab. Ein gewisser Burchard oder Bukko, von Halberstadt, hatte dreizehn Feldzüge gegen Kaiser Heinrich IV. mitgemacht. Nach der Schlacht, die dieser Fürst nach seiner Rückkehr aus Italien bei Mellrichstadt 1078 verlor, fanden sich unter den Erschlagenen sehr viele Bischöfe. Als Reichsvasallen (Lehnsmänner) hielten sie sich verbunden, gleich den weltlichen Fürsten, sich bei dem Heer einzufinden und sich mit den Feinden herum zu tummeln. Die niedere Geistlichkeit stellte sich hinter das Treffen und sang während des Schlachtgewühls Psalmen und andere geistliche Gesänge.

Sie wurden nicht mehr von ihren Frauen und Kindern abgehalten, sich unnötigen Gefahren auszusetzen, denn der despotische Gregor VII. hatte ihnen den ehelichen Stand untersagt und sie gezwungen, unverheiratet zu bleiben, damit sie durch keine Bande fester an das Vaterland, als an ihn und die katholische Kirche gebunden sein möchten. Vorher waren sehr viele Priester verheiratet; und wollte sich auch lange, besonders in Thüringen, das Recht, sich zu verehelichen, nicht nehmen lassen; es kam darüber sogar zu Gewalttätigkeiten gegen die päpstlichen Legaten; am Ende musste man aber doch der furchtbaren Macht der Päpste weichen.

Die Geistlichkeit wurde stärker

Dies brachte den weltlichen Fürsten, besonders den deutschen Kaisern, große Nachteile. Sie hatten es ohnehin schon schwer genug zu bereuen, dass sie durch übertriebene Freigiebigkeit die Bischöfe nach und nach zu Herren großer Länder und die sonst armen Mönche zu reichen Leuten gemacht hatten. Sie glaubten, durch große Schenkungen sich Gott und den Heiligen wohlgefällig zu machen, sich auch die Geistlichkeit zu treuer Ergebenheit zu verpflichten; aber sie irrten sich in ihrer Erwartung sehr: denn immer hielten es die Bischöfe und der Klerus überhaupt lieber mit dem Papst gegen ihre Wohltäter; sie erkühnten sich sogar, wie wir gesehen haben, die Fürsten in den Bann zu tun, die Waffen gegen sie zu ergreifen, ihnen ein christliches Begräbnis zu versagen und sie selbst wieder aus den Gräbern nehmen zu lassen.

Quelle:

  • Dr. Georg Ludwig Jerrer: Die Weltgeschichte für Kinder, Band 2, 5. Ausgabe, Nürnberg: Verlag von Friedrich Campe, 1833.

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